Die Kriege der Mächtigen

Daniele Ganser enthüllt, wie die USA und die NATO die UNO sabotieren, Unfrieden und Unsicherheit stiften

  • Jens Ebert
  • Lesedauer: 4 Min.

Viewern von Youtube ist Daniele Ganser womöglich besser bekannt als Bücher- oder Zeitungslesern. Nachdem er 2005 eine Publikation zu den NATO-Geheimarmeen in Europa während des Kalten Krieges (»Operation Gladio«) veröffentlichte, legte er nun eine Untersuchung zu den heißen Kriegen jener Zeit bis in die Gegenwart vor. Zu diesem Thema hält er auch Vorträge an verschiedenen Einrichtungen in Deutschland und Europa.

Ganser untersucht, wie die Vetomächte des UNO-Weltsicherheitsrates, vornehmlich die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich die Regelungen friedlichen Miteinanders der Weltorganisation jahrzehntelang missachteten und bis heute missachten. Um den Leser in die komplizierte Problematik einzuführen, stellt er der Beschreibung und Analyse illegaler Kriege das Wort und den Geist des Gewaltverbots und der Nichteinmischung in der UNO-Charta voran, die als Konsequenzen aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs gezogen wurden.

Quasi als Sündenfall sieht Ganser die Aktivitäten Großbritanniens und der USA gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Iran, Mossadegh. Dessen Politik zur Nationalisierung des Erdölreichtums 1953 wurde durch einen von westlichen Geheimdiensten gesteuerten Putsch beendet. Das war auch das Ende eines erfolgversprechenden Demokratisierungsprozesses. Nicht anders erging es ein Jahr später dem Ministerpräsidenten Guatemalas, Jacobo Árbenz Guzmán, der seine hauptsächlich vom Bananenanbau lebende Bevölkerung vor brutalster Ausbeutung schützen wollte und daher von der United Fruit Company bekämpft wurde, einem US-Konzern, der sich wegen des ramponierten Images später in »Chiquita« umbenannte. Árbenz wurde mit Hilfe der CIA gestürzt. Ganser deckt die Verquickung von politisch-militärischer Macht und wirtschaftlichen Interessen der US-Elite auf: »CIA-Direktor Allen Dulles war Aktionär der Gesellschaft. Sein Bruder, Außenminister John Foster Dulles, besaß ebenfalls ein großes Aktienpaket«. Älteren Lesern dieser Zeitung dürften die damaligen Ereignisse noch durch die DFF-Fernsehserie »Das grüne Ungeheuer« bekannt sein.

Weniger Erfolg hatten die westlichen Großmächte bei den illegalen Kriegen gegen Ägypten, Kuba oder Vietnam, die jedoch viel Leid über die genannten Länder brachten und deren wirtschaftliche Entwicklung störten. Ganser verdeutlicht überzeugend, dass die Krisen unserer Gegenwart nicht selten in der imperialistischen Politik westlicher Großmächte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurzeln.

Da es nicht sein Thema ist, betrachtet Gansel den sowjetischen Einmarsch 1956 in Ungarn und 1979 in Afghanistan nur kurz. Der Prager Frühling findet keine Erwähnung. Doch auch dies waren militärische Ereignisse, die die Friedenspolitik der UNO sabotierten. Auch in Ländern der Dritten Welt gab es völkerrechtswidrige Handlungen. Zweifellos aber sind es die USA im Verein mit der NATO, die »in den letzten 70 Jahren am meisten illegale Kriege vom Zaun gebrochen haben«.

Im Buch wird aufgezeigt, wie ohnmächtig die UNO - u. a. wegen der Vetopolitik im Sicherheitsrat - über Jahrzehnte Kriegen sowie offenen und verdeckten »regime changes« gegenüberstanden. Eine Konsequenz daraus war 1998 die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes. Fortan konnten Kriegsverbrecher, unabhängig davon ob sie »zum Zeitpunkt des Verbrechens Präsidenten, Premierminister, Verteidigungsminister, Generäle oder einfache Soldaten waren, nicht mehr damit rechnen, straflos zu bleiben, nur weil sie mächtig sind«. Allerdings gibt es auch hier ein Problem: Der Gerichtshof kann in vielen Ländern nicht aktiv werden. »Unter den Neinsagern gegen diese bedeutende Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts waren China, Indien, Israel, Libyen, Katar, Jemen und die Vereinigten Staaten.« Verbotene aggressive Akte sind übrigens nicht nur Kriege oder ein von außen organisierter Putsch, sondern auch Blockaden, wie z. B. die gegen Kuba.

Trotz des oftmals postulierten Endes des Kalten Krieges gibt es völkerrechtswidrige Einmischung westlicher Mächte in andere Länder bis heute: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien. Ganser hat zahllose Dokumente ausgewertet und analysiert. Er vermittelt dem Leser faktengesättigt seine fundierte kritische Weltsicht in verständlicher Form. Er erläutert die historischen Ereignisse und referiert Standpunkte von Politikern und Historikern. Dass er auch mehrfach Gaddafi in allgemeineren, nicht spezifisch libyschen Zusammenhängen zitiert, ist allerdings etwas irritierend. Sein Buch ist zudem mitunter sehr polemisch, aber dennoch höchst erkenntnisreich.

Daniele Ganser: Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. Orell Füssli. 374 S., br., 24,95 €.

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