Jauch, Will, Illner: Keine talkt über soziale Gerechtigkeit

SPD-Bundestagsabgeordneter Marco Bülow über die Themenauswahl in den politischen Talksendungen in ARD und ZDF

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Bülow, Sie haben über 200 Polit-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender ausgewertet. Was war dafür Ihre Motivation?
Ich hatte das Gefühl, dass sehr einseitig immer nur bestimmte Themen diskutiert wurden und das auch über einen langen Zeitraum hinweg. Soziale Gerechtigkeit spielte in den Talkshows nach meinem Empfinden seit Jahren eine geringe Rolle. Ich hatte dann eine Diskussion mit einem Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender, der diese These verneinte. Man redet ja viel über Gefühle in letzter Zeit. Ich habe dann gedacht: Okay, dann schaust du dir die Fakten mal an.

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?
Mein Team und ich haben uns alle fünf relevanten Polit-Talkshows auf ARD und ZDF der vergangenen anderthalb Jahre unter folgenden Gesichtspunkten angeschaut: Welche Themen kamen vor, welche Gäste und welche Parteien. Auch zwischen Männer und Frauen haben wir unterschieden.

Marco Bülow

Marco Bülow ist Dortmunder Bundestagsabgeordneter für die SPD. Seine politischen Schwerpunkte sind Transparenz, Lobbyismus und Umweltpolitik. Mit seinem Team untersuchte er zwischen Oktober 2015 bis Anfang März 2017 insgesamt 204 Sendungen der Formate »Maischberger«, »Anne Will«, »Hart aber fair«, »Günther Jauch« und »Maybrit Illner«. 52 Mal ging es um Flüchtlinge, 22 Mal um den Terror des IS, Altersarmut und Rente waren dagegen nur vier bzw. drei Mal Gegenstand der Diskussionen. Mit dem 46-Jährigen sprach Sebastian Bähr.

Was hat Ihre Untersuchung ergeben?
Es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Dass das Thema Flüchtlinge in dieser Zeit einen hohen Stellenwert in den Medien eingenommen hat, ist klar. Dass es jedoch ein so krasses Missverhältnis zwischen diesem Thema und allen Sozialthemen gibt, hat mich dann aber doch überrascht. Wenn man die Bereiche Extremismus, Populismus, Terrorismus und Flüchtlinge zusammennimmt, hat dieser Komplex fast jede zweite Sendung bestimmt. Soziale Gerechtigkeit und Umweltthemen kamen dagegen so gut wie gar nicht vor - und das, obwohl in Paris erst ein Klimagipfel tagte. Bei aller journalistischen Freiheit bekommt man den Eindruck, dass Themen, die unbequem sind, ausgelassen werden. Gleichzeitig scheint man die Gruppen zu bedienen, die am lautesten schreien.

Welche Folge hat Ihrer Meinung nach diese einseitige Gewichtung für das politische Klima?
Rechte Themen erscheinen wichtiger, wodurch ein politischer Handlungsbedarf entsteht. Dieser wird bei sozialen Themen wiederum nicht generiert. Ich glaube aber, dass die Bevölkerung da schlauer ist. Die Beliebtheit von Martin Schulz repräsentiert beispielsweise diese Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit. Viele Menschen, mit denen ich spreche, informieren sich nichtsdestotrotz hauptsächlich über Talkshows im Fernsehen. Es ist gefährlich, wenn Zerrbilder ihre Meinungen bestimmen.

Wie erklären Sie sich die Einseitigkeit?
Das ist die spannende Frage und der möchte ich in Zukunft nachgehen. Ich habe alle Redaktionen angeschrieben und werde mich auch an die Medienpolitiker und -beiräte in den öffentlich-rechtlichen Sendern wenden. Ansonsten sind da für Mutmaßungen Tür und Tor geöffnet. Ich will erst mal keinem etwas Böses unterstellen. Ich befürchte jedoch, dass es sich um eine Systematik handelt.

Welche Verantwortung tragen die öffentlich-rechtlichen Sender?
Gerade von den öffentlich-rechtlichen Medien erwarte ich eine besondere Differenziertheit. Ich bin trotzdem ein großer Verfechter von ihnen und reihe mich explizit nicht in die »Lügenpresse«-Kritiker ein. Ich habe aber den Anspruch, dass nicht nur abends um 22.30 Uhr die kritischen Sendungen laufen, sondern dass ARD und ZDF auch zur Prime Time bei solchen Talkshows auf Ausgewogenheit achten.

Steigert die eingeschränkte Themenauswahl Medien- und Politikverdrossenheit?
Natürlich wird der Frust größer, wenn sowohl die Politik als auch die wichtigsten Medien im Endeffekt sehr einseitige Diskussionen führen. Ich habe meine Kritik aber auch schon gegenüber der Politik geäußert. Das Thema der sozialen Gerechtigkeit wurde im Bundestag stark ausgeklammert. Ich nehme da die SPD nicht aus.

Sie sprechen Frustration an. Konnte die AfD die Talkshows als Plattform für ihre Inhalte nutzen?
Ja, sie hat eine Plattform bekommen. Jedoch nicht so häufig, wie ich vorher vermutet habe. Die Ergebnisse haben dafür gezeigt, dass vor allem ihre Kernthemen gespielt wurden und sie im Vergleich zu anderen Parteien viele Möglichkeiten hatte, diese zu kommentieren. Man bekommt den Eindruck, dass derjenige, der die Medien am meisten beschimpft, auch seine eigenen Themen setzen darf.

Auch die CDU war im Vergleich zur SPD stark überrepräsentiert. Was vermuten Sie als Ursache?
Zum einen natürlich, weil die CDU einfach die stärkste politische Kraft in diesen anderthalb Jahren war. Andererseits ist es ein taktisch kluger Zug von der Union, dass sie bei politischen Debatten immer als zwei verschiedene Parteien wahrgenommen wird.

Wie ist es mit der personellen Zusammensetzung?
Es sind immer die gleichen Leute. Häufig handelt es sich dabei nicht um die Fachpolitiker. Diese haben zwar keine glamourösen Namen, könnten aber vielleicht mehr zur Debatte beitragen. Aber ich weiß ja, wie das läuft: Wenn der Spitzenpolitiker absagt, den die Talkshow haben will, dann wird die Partei gar nicht berücksichtigt.

Ist das nicht Unterordnung unter eine Quotenlogik?
Ganz befreit sind die Öffentlich-Rechtlichen davon natürlich nicht. Ich würde sagen, dass es eine thematische Mischung braucht. Es ist aber keine offene Diskussion, die da geführt wird. Ich kann verstehen, dass auch auf die Quote geschaut wird, aber es darf eben nicht nur so sein. Ich glaube zudem nicht, dass die Quote darunter leiden würde, wenn man soziale Themen aufgreift.

Im deutschen Privatfernsehen wird sich über Armut oft lustig gemacht. Was denken sie darüber?
Ich schaue so etwas nicht mehr, aber nehme es natürlich wahr. Es ist jedoch kein reines Medienproblem, dass wir Armut stigmatisieren. Kleinere Korrekturen im sozialen Bereich werden in der öffentlichen Debatte nach wie vor als Wohltaten bezeichnet, Steuerflucht zum Teil als Kavaliersdelikt behandelt. Auf der anderen Seite wird Reichtum immer noch als etwas angesehen, wofür jemand Leistung gebracht hat.

Würden Sie sich einen stärkeren institutionellen Einfluss wünschen, um eine größere Differenziertheit bei der Themen- und Personalauswahl in den politischen Talkrunden zu erreichen?
Je mehr Menschen eine Debatte einfordern, desto mehr werden sich Sender überlegen, etwas zu ändern. Ich würde aber davon abraten, hier machtpolitisch oder personalpolitisch zu intervenieren. Ich bin auch der Meinung, dass Politik sich aus den Rundfunkbeiräten eher zurückziehen sollte. Wenn man Medien will, die etwas unabhängiger sind, - unabhängige gibt es nicht - muss man den politischen Einfluss begrenzen.

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