Nicht mehr fern vom Bösen

Tausende gedachten in Stockholm der Opfer des Anschlags vom Freitag in Schweden

  • Bengt Arvidsson
  • Lesedauer: 3 Min.

Trauer, Ohnmacht, Angst und Wut prägten die Stimmung am Wochenende im sonst so friedlich beschaulichen Stockholm.

Von Bengt Arvidsson, Stockholm

Vier Menschen wurden umgebracht, 15 teils schwer verletzt. Von einem Lastwagen, der am Freitag kurz vor 15 Uhr über die zentrale Fußgängerzone Drottninggata ins Kaufhaus Ahrlens raste. Tausende versammelten sich dort am Sonntag, um der Opfer von Schwedens erstem größeren Terroranschlag zu gedenken. Die Veranstaltung hatte der Stockholmer Damon Rasti, der einst als Kriegsflüchtling nach Schweden kam, über Facebook arrangiert. Zahlreiche Redner, darunter Einwanderer, Politiker und Prominente, riefen zu Solidarität und Mut auf. Um 14.53 Uhr, dem Anschlagszeitpunkt, wurde eine Gedenkminute abgehalten, Musiker traten danach auf.

Auf den Treppenstufen zum Platz Sergel Torg, direkt neben dem Kaufhaus, war am Wochenende ein Meer aus bunten Blumen und Kerzen entstanden. Tausende Stockholmer pilgerten zum Ort des Terrors. »Ich bin Köchin in der Nähe in einem Restaurant«, sagt die 26-jährige Hanna Olsson dieser Zeitung. »Das ist so unfassbar. Dass das hier in Schweden, in meinem Stockholm passiert, ich hatte riesige Angst, ich habe immer noch Angst. Aber ich musste herkommen. Das ist wohl irgendwie auch Therapie«, sagt Olsson. »Schweden hat sich stets so weit ab von allem Bösen angefühlt. Dieses schöne Gefühl ist nun weg«, sagt die Köchin.

Mit Tränen in den Augen legte auch Kronprinzessin Victoria vor der Polizeiabsperrung zum Kaufhaus Ahlens einen Strauß roter Rosen ab. Das Reden fiel ihr sichtlich schwer: »Ich fühle aber eine gewisse Stärke«, sagt sie am Anschlagsort. »Die schwedische Gesellschaft baut auf enormem Vertrauen, Gemeinsamkeit und Zusammenhalt auf. Das wird uns letztlich gestärkt hier herausführen.«

Die Toten sind inzwischen identifiziert worden. Darunter sind zwei Schweden, eine Belgierin und eine Person aus Großbritannien. Ein elfjähriges Mädchen befand sich laut der schwedischen Presse unter den Opfern. Es kam gerade aus der Schule. Am Kaufhaus wartete das Mädchen auf seine Mutter. Es dauerte lange, bis es identifiziert werden konnte.

Unterdessen wurden mehr Einzelheiten bekannt. Gegen 14.50 Uhr am Freitag war ein LKW-Fahrer der schwedischen Bierbrauerei Spendrups, so wie jeden Freitag um die gleiche Zeit, mit dem Ausladen von Getränken für das zentrale Restaurant Caliente fertig. Er hatte die Ladeluke gerade geschlossen, als ein maskierter Mann in die Führerkabine sprang. Der Fahrer rannte vor den Wagen und versuchte ihn noch zu stoppen, musste aber dem einfach lospreschenden LKW ausweichen. Wenig später raste der gut 500 Meter weit über die belebte Fußgängerzone der Haupteinkaufsstraße Drottninggata in das Kaufhaus Ahlens hinein.

Der mutmaßliche Todesfahrer wurde noch am gleichen Abend dank aufmerksamer Bürger und Fahndungsfotos von den vielen Stockholmer Überwachungskameras festgenommen. Es handelt sich um einen 39-Jährigen aus Usbekistan. Der sympathisiert mit dem Islamischen Staat (IS), bestätigte die Polizei am Sonntag. 2014 hatte er eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt, die wurde im Juni 2016 abgelehnt. Offiziell wurde er von der Polizei zur Abschiebung gesucht. Doch in Schweden kommt die Polizei den Abschiebungsaufträgen wegen Überforderung kaum noch nach, räumte sie ein.

In der Nacht zum Sonntag und am Sonntagmorgen wurden zudem sechs weitere Personen im Großraum Stockholm festgenommen. Mindestens eine dieser Personen soll laut Staatsanwaltschaft verdächtigt werden, in den Terrorakt verwickelt zu sein. Der Hauptverdächtige ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Stockholm. »Er wirkte wie ein gewöhnlicher Arbeiter, nicht wie ein religiöser Fanatiker«, sagte eine Usbekin, die dem 39-jährigen gestattet hatte, ihre Wohnung als Meldeadresse zu nutzen.

Es grenzt an ein Wunder, dass am Freitag nicht noch mehr Menschen zu Schaden gekommen sind. Der zaghaft beginnende skandinavische Frühling hatte an diesem Freitag noch mehr Menschen als sonst ins Stadtzentrum gelockt.

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