Regen statt weißer Wolke

Sebastian Sommer inszeniert »Baal« am Berliner Ensemble als durchgehend biedere Karikatur von Brecht

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Aprilwetter auf der kleinen Probebühne des Berliner Ensemble. Es regnet vom dunklen Bühnenboden hinab. In Pfützen schwimmen viele zerknüllte Zettel voller vergeblicher Lyrik.

Man sitzt im Publikum und schaut interessiert dem sich vollziehenden Auflösungsprozess zu. Das Papier braucht nicht einmal die volle Spielzeit - gut neunzig Minuten -, um sich in eine undefinierbar breiige Masse zu verwandeln, so weiß wie jene Wolke ungeheuer oben, von der Baal singt. Sie ist abgestürzt in diesem regnerischen April auf der Probebühne des Berliner Ensemble. Der junge Sebastian Sommer inszeniert, der alte Karl-Ernst Herrmann baut eine Bühne, die wie aus dem Geist des Hochwasserschutzes hervorgetrieben wirkt.

Dazu ein Hochstand für die Jagd auf freilebende Dichter, ein Ausguss, ein separater Wasserhahn, der immer mal wieder auf und zu gedreht wird, eine leuchtende Glühbirne mit Glühdraht, die, sobald sie angestoßen wird, zu pendeln beginnt - das ist hier die Szenerie für Brechts frühes Loblied auf das Urvieh Baal, den Künstler, der lieber Verbrecher als Bürger sein will. Das Triebtier Baal kennt sich aus mit schön montierten Worten. Die ihn dabei am besten selbst charakterisierenden: »Ich lebe von Feindschaft.« Oder mit Thomas Mann über Brecht gesprochen: »Das Scheusal hat Talent.« An der Seite sitzen zwei Musiker, denen man einen Freibrief in Sachen Lärm (Schlagzeug!) gegeben zu haben scheint. Und weiter?

Nichts weiter, außer dem Befund, dass »Baal« wieder so ist, wie das Berliner Ensemble unter Claus Peymann. Vorsichtig gesagt: irgendwie uninspiriert. Natürlich hat das Brecht im »Baal« bereits auf den Punkt gebracht, als er von einem »Museum für Kleinkunst« sprach. Brecht und das Berliner Ensemble könnten nicht weiter voneinander entfernt sein, als sie es gegenwärtig sind.

Der Gestus, in dem Sebastian Sommer »Baal« inszeniert, steht dem Brechts diametral entgegen. Trotz forciertem Wasserschaden auf der Bühne: im Umgang mit den Figuren und ihrem Text ist man durchdringend bieder. Man macht alles das, was schlechter Stanislawski ist - und das in Brechts Haus! Einfühlen, ausmalen, psychologisieren, tremolieren - es ist nicht zum Aushalten. Der kalt-phänomenologische Gestus des Aufzeigens wird nicht nur verfehlt, sondern ist gar nicht gewollt. Oder meint Sommer, weil es sich hier vielleicht um einen Text des späten Expressionismus handeln könnte (die drei Fassungen des »Baal« entstanden zwischen 1918 und 1926), sei subjektive Erhitzung aller Beteiligten erlaubt?

Ursprünglich sollte das Stück »Baal frisst! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!!« heißen, eine Art heidnischer Götzendienst. Entscheidend für jeden Inszenierungsversuch ist, dass Baal das Gewicht eines Kolosses erlangt, dessen Empfindsamkeit ausschließlich innen liegt. Nuran David Calis gelang dies kürzlich in seinem multimedial ausgeklügelten »Baal« am Schauspiel Leipzig. Und wenn man ein Beispiel für eine schlechte Inszenierung mit einem großartigen Darsteller sucht, dann sollte man zur DVD von Volker Schlöndorffs 1969er Verfilmung greifen: Regieratlosigkeit ohnegleichen, jedoch mit einem Rainer Werner Fassbinder als asozial-autokratischem Künstlertypus auf der Grenze zum Terrorismus. Der einsame Despot in seinem Reich: eine verlorene Seele.

Man möchte hier am Berliner Ensemble erleben, dass Regisseur Sommer entschlossen den Kampf mit dem Textungetüm aufnimmt, sich der von innen hervorbrechenden Gewalt stellt. Stattdessen sehen wir lauter Posen, die gerade noch als Karikaturen durchgehen. Und auch Matthias Mosbach als Baal wirkt bestenfalls äußerlich animiert, was sich dann in vielen hektischen Worten und Bewegungen ausdrückt, aber niemals zu einer bezwingenden Wucht des Ausdrucks durchdringt. Und so fällt unaufhaltsam auseinander, was doch zusammen gehört: Bühne und Schauspieler, Worte und Handlung, Musik und Licht. Es bleiben Kulissen, in denen es ziemlich hohl tönt.

Und so mühen wir uns durch die Stationen, die Brecht vorgibt. Zu Beginn die »Soiré«. Das ostentativ verdammte bürgerliche Mäzenatenpack: »Ich handele mit Holz, aber ich gebe Ihre Lyrik heraus.« So einem spuckt man doch vor die Füße - mindestens. Ganz so rigoristisch verhielt sich Brecht in vergleichbarer Situation dann nicht. Dies ist dann auch eher der Traum vom allmächtigen Gott Baal, der nichts und niemand fürchtet, weil er niemanden braucht. Brecht jedoch brauchte viele Helfer.

Unter der falsch erregten Diktion begraben, lässt sich kaum erkennen, worum es Brecht eigentlich geht. Die Masse ist Meute und sitzt immer auf dem Sprung zum Pogrom. Und Baal ist ein launischer Gott, der es wie Brecht selbst hält: »In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.«

Gott Baal, das weiß Brecht, ist ein falscher Gott, den niemand braucht, nicht einmal er selbst. Ein Ereignis, eine vorübergehende Gefahr, der Versuch, sich selbst als neuer Mensch zu zeugen, in dem man den alten vor aller Augen absterben lässt. Entstanden ist ein Wortungeheuer, das aus Weltekel gemacht zu sein scheint: »Soviel Himmel hat Baal unterm Lid / daß er tot noch grad genug Himmel hat.« Bis hierher jedoch reicht Sommers Lesart des »Baal« nicht.

Nächste Aufführungen: 10.4., 19.30 Uhr, 11.4., 19 Uhr, Probebühne, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte.

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