Öko ist kein Luxusproblem

Ökologie und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen, meint Eva Bulling-Schröter. Dieser Zusammenhang müsse von links besser erklärt werden.

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 5 Min.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral, warf einst Brecht den Bessergestellten Hochmut vor, wenn diese vom hohen Ross der Sattheit Vorträge über Falsch und Richtig hielten. Gute Arbeit und Renten, keine Hartz-4-Gängelungen, bessere Pflege, immer wieder höre auch ich, dass die »Öko«-Frage ein zu vernachlässigender Nebenwiderspruch sei. Die vielen Menschen - die der Neoliberalismus in die Mangel nimmt - würden sich vor sinkenden Löhnen und steigenden Mieten, nicht vor weniger Artenvielfalt und steigenden Meeresspiegeln fürchten, wird uns Ökosozialistinnen entgegen gehalten, wenn wir wieder einmal mit Klima-Gebäudesanierungen, Ökosteuern für Flugtickets, einem Ende der Subventionen von Ölheizungen oder einem deutschlandweiten Kohleausstieg anfangen. Mit Öko-Themen sei kein Fang zu machen, »das interessiert doch eh keinen«. Und besonders nicht bei Wahlen.

In einer neuen, viel beachteten Studie wollte das Umweltbundesamt (UBA) genau das wissen. Abgefragt wurden die »wichtigsten Probleme, denen sich unser Land gegenübersieht«. Bei der Erhebung kam Erstaunliches heraus. »Im Jahr 2016 liegen Umwelt- und Klimaschutz mit 21 Prozent an dritter Stelle«, rieben sich die UBA-Demoskopen die Augen. Als wichtigstes Thema wurde mit 55 Prozent »Zuwanderung, Migration« genannt. Was nicht verwundert, im Sommer 2016 der Umfrage stand die Aufnahme der vielen Geflüchteten aus Syrien und anderen Krisenländern im Fokus der Öffentlichkeit. Auf Platz zwei wurde mit 47 Prozent »Kriminalität, Frieden, Sicherheit« genannt. »Dies reflektiert insbesondere die Probleme von Terrorismus und religiösem oder politischem Extremismus. Dazu zählen Sorgen um die innere Sicherheit in Deutschland und Europa sowie Befürchtungen um Frieden und Stabilität in der Außenpolitik«, wird erklärt.

Umweltfragen aber sind bei den Menschen auf Dauer programmiert. Sie landen auf Platz drei, noch vor der wichtigen Sorge um soziale Gerechtigkeit, vor Unzufriedenheit mit der Politik, vor Rentenangst oder Jobverlust. Trotz oder vielleicht gerade wegen der aktuellen Krisen-Turbulenzen weltweit (schließlich befeuert eine zerstörte Lebensgrundlage durch Klimawandel und Umweltzerstörung Kriege und Konflikte) treibt die Frage nach dem Erhalt unseres Planeten mehr Menschen um als gedacht: zu Klimawandel, Nachhaltigkeit im Allgemeinen oder konkrete Fragen zu Umweltzerstörung, Umweltbelastung, Ener­gie und Atomkraft, Artenvielfalt, Müll, Lebensmittel - und Ressour­cenverschwendung. Das ist gut, denn die Politik kann auf diese konkreten Probleme konkrete Antworten geben.

Nun leben wir in einer Gesellschaft mit Arm und Reich. Schauen wir genauer auf das hohe Umweltbewusstsein ergibt sich ein schrägeres Stimmungsbild. Umweltsorgen machen sich in der Mehrheit Menschen, die Gesellschaftswissenschaftler dem »kritisch-kreativen Milieu« zuordnen, also Personen aller Altersklassen mit Abitur, Uniabschlüssen und mittlerem bis hohem Einkommen (mit 60 Prozent sind hier Frauen überdurchschnittlich vertreten). Sie siedeln die grünen Belange mit 32 Prozent ganz oben an. Auch die »jungen Milieus« (24 Prozent), also Befragte bis 30 Jahre, sehen Ökoprobleme als besonders dringlich an. Sie müssen meist noch keine Kinder satt machen, schauen optimistisch in die Zukunft, leben mit weniger Druck. Am wenigsten Öko-Handlungsbedarf sieht das »prekäre Milieu«: Arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit geringer Ausbildung aller Altersklassen, mit schlecht bezahlten Jobs im Niedriglohnsektor, Hartz-4-Empfängerinnen, viele ältere, einfache Arbeiterinnen und Arbeiter, Rentnerinnen und Rentner mit wenig Auskommen. Diese Menschen am großen unteren Ende der sozialen Pyramide sind gezwungen, praktisch zu denken. Bei ihnen geht es ums tägliche Überleben, um die nächste Stromrechnung, die nächste Miete. »Insbesondere sind über­durchschnittlich viele der Ansicht, dass es erst einmal Fortschritte beim Thema soziale Gerechtigkeit geben muss, bevor wir uns Umwelt- und Klimaschutz leisten können«, formuliert die Studie diese auf den ersten Blick nachvollziehbare Einschätzung.

Soll die Linke im Kampf für die Interessen der Ausgegrenzten und Schwachen also doch nur die rote Fahne schwenken? Und das grüne Schild lieber doch zurück in die Ecke stellen? Die Antwort ist ein lautes Nein! Ökologie ist kein Luxusproblem, sondern notwendig. Es sind gerade die Ausgegrenzten und Schwächsten dieser Gesellschaft, die »überdurchschnitt­lich vielfältigen Umweltbelastungen wie Lärm oder Luftschadstoffen ausgesetzt sind«, weist das UBA auf Umweltungerechtigkeit hin. Arme Menschen sterben im Schnitt deutlich früher als Wohlhabende. Hunderttausende leben an großen Straßen, Autobahnen und Flughäfen. Strengere Vorschriften für Flugzeuge, Schiffe, dreckige Autos, kein Quecksilber, Stickoxide und Schwefel mehr aus Kohlekraftwerken braucht es. Mehr Fahrradwege und weniger Gift in unseren Lebensmitteln, gute Arbeit in der zukunftsfähigen Energiewendebranche würden ihnen direkt zu Gute kommen. Weltweit sind es die Armen in armen Ländern, die am meisten unter Klimawandel und Rohstoffausbeutung ächzen. Im Übrigen sind es die Reichen, die obere Mittelschicht, die zwar ein Super-Ökobewusstsein haben, deren ökologischer Fußabdruck um ein Vielfaches größer ist als der der kleinen Leute. Wer mehr verdient, der lebt auch umweltschädlicher, auch das hat das UBA ermittelt.

Ganz besonders aber darf die Linke nicht in die Denkfalle der Mächtigen treten und den hingeworfenen Happen schlucken, dass der Mensch nur Fressen will. Wir sind eben nicht das, was neoliberale Vordenker und deren Nachplapperer uns einreden. Wir sind von Natur aus keine egoistischen Wesen, die nur Maximalgewinn anstreben. Keine unmoralischen Nutzenoptimierer, kein asozialer homo economicus. Will eine linke Politik mit Anspruch auf eine gerechte Welt, in der Kooperation statt Konkurrenz vorherrscht, auf kurze und lange Sicht richtige Antworten auf wichtige Fragen geben, dann muss sie die Dringlichkeit von Ökologie und ihre unverzichtbare Rolle für soziale Gerechtigkeit noch ernster nehmen. Sie weitertreiben und überzeugen, statt vor der Ökokrise mit all ihren Folgen die Augen zu verschließen. Ökologie und Nachhaltigkeit gehen nur sozial, oder sie gehen gar nicht. Und dafür braucht es eine starke Linke.

Eine ökologische Wende muss von allen getragen werden, nicht nur vom Otto-Normalverbraucher und dem Mittelstand. Politik hat auch einen Bildungsauftrag, sie muss das Komplizierte einfach erklären. Dann nämlich wird auch anders herum ein Schuh draus: Ein grüner Baum wächst nur auf rotem Grund.

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