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Ein kleiner linker Gründungsboom

Sie heißen »Zeit zu Handeln« oder »Die Urbane«. Und sie wollen Alternativen zu den etablierten Parteien sein

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 8 Min.

Bei »Demokratie in Bewegung« ging es zuletzt zu, wie der Name verspricht: Es bewegte sich viel. Landesvorstände konstituierten sich, Kandidaten für die Bundestagswahl haben sich gemeldet, die Programmdebatte läuft. Gegründet wurde die Partei erst Ende April. Und noch klingt das Kürzel DiB ungewöhnlich.

Doch wenn man den Protagonisten glaubt, wird sich das bald ändern. »Der Zeitpunkt ist reif, dass ganz viele Leute sagen: Bestehende Parteien repräsentieren mich nicht«, so formulierte es DiB-Vorstand Anne Isakowitsch im Magazin »Zitty«.

Parteigründungen in Zeiten von Demokratiekrisen, das ist nicht unbedingt neu. Viele solcher Projekte schafften es nicht über das erste Jahr. Bei DiB glaubt man dennoch an den Erfolg - ohne sich über die hohen Eintrittshürden im deutschen Parteiensystem Illusionen zu machen.

»Es ist natürlich eine große Herausforderung, um vor der Wahl noch bekannt zu werden«, wird Alexander Plitsch, einer der Mitinitiatoren, im »Kölner Stadt-Anzeiger« zitiert. Man sei aber »gespannt, wie viele Menschen sich mit unseren Ideen identifizieren können«.

Ginge es nach den Unterstützerzahlen auf der Kampagnenplattform change.org, wäre DiB breites die größte Oppositionspartei hierzulande. Über 100 000 Menschen haben dort für einen »Neuanfang für Demokratie und Gerechtigkeit« unterschrieben und sich für »eine ganz neue Form von Demokratie zum Mitmachen« ausgesprochen.

Aber Klicks im Netz sind das eine, die politische Wirklichkeit etwas ganz anderes. »In einigen Bundesländern tun wir uns etwas schwerer als in anderen«, heißt es mit Blick auf Thüringen, Brandenburg und den Nordosten. Das Projekt ist noch jung. Erst im November 2016 gab ein kleiner Kreis in Berlin den Startschuss.

Ganz von Null begann man nicht, Mitorganisator Plitsch hatte schon zuvor eine Parteigründung hinter sich - sein Projekt »Momentum« ist nun in DiB aufgegangen. Andere Initiatoren haben bei Demokratieprojekten wie change.org oder Abgeordnetenwatch.de federführend mitgemacht - und gehen nun den Schritt vom Onlinedienstleister zur parteipolitischen Neugründung.

Und noch ein Vorläufer muss an dieser Stelle genannt werden: »Demokratie Plus«. Mit diesem Blog hatte ein Kreis um den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow auf die Krise des etablierten Parteienmodells reagiert: kritisch gegenüber Vermachtung und Lobbyismus, nach Alternativen zur Hinterzimmer-Politik und neue Möglichkeiten der Einmischung suchend. Nach Demokratie Plus eben.

Das ist auch die DiB-Idee, aber man will nun mehr als ein Blog, man will in den Bundestag, so Isakowitsch, »und breite Bevölkerungsschichten für Parteipolitik begeistern«. Besser gesagt: für eine Politik, die die Gründer bei den Etablierten nicht mehr für möglich halten. Die SPD mit Martin Schulz an der Spitze? Hält die »alte Fahne« hoch, aber nicht das, was er verspricht. Die Grünen? Kein Potenzial für Erneuerung und mit der schwarz-grünen Option auch nicht für mehr Gerechtigkeit. Die Linkspartei? Da fallen Isakowitsch die Worte »dogmatisch und piefig« ein.

Das ist einer der entscheidenden Punkte - nicht nur der Neugründung DiB. Wer sich deren programmatischen Rohbau anschaut, muss sich fragen, warum bereits bestehende linke Parteien nicht attraktiv genug für die Neugründer sind. »Gegen ökonomische, soziale, politische und ökologische Ungerechtigkeiten«, lautet einer der Kernsätze bei DiB. Man ist gegen Marktdominanz und menschenverachtende Stimmungsmache von rechts. Weltoffenheit ist ein Bezugspunkt, Elitenkritik ein anderer. Das würden viele Sozialdemokraten für sich auch reklamieren. Grüne sowieso. Und erst recht die Linken.

Ortswechsel. In München hat Claudia Stamm vor ein paar Wochen ihren Austritt aus der Grünen-Fraktion im Landtag erklärt und gleich auch die Gründung einer neuen Partei angekündigt. »Zeit zu Handeln« heißt das Projekt, bis Pfingsten will man den nächsten Schritt machen. Mit dabei andere Ex-Grüne, ein parteiloser Bürgermeister, frühere CSU-Wähler und auch der Soziologe Stephan Lessenich. Der Professor ist auch im rot-rot-grünen Institut Solidarische Moderne engagiert, das die Debatte zwischen drei etablierten Mitte-Links-Kräften voranbringen wollte. Jetzt gründet er eine eigene Partei.

»Zeit zu Handeln« will sich zunächst auf die Landespolitik konzentrieren, in Bayern wird im Herbst 2018 gewählt. Viele derer, die jetzt bei Regionalkonferenzen das Gerüst der neuen Partei zimmern, waren in der Geflüchtetenhilfe aktiv - das Projekt ist sozusagen Ausdruck jenes Lagers der Solidarität, das sich in den bisherigen Parteizugehörigkeiten nicht mehr wiederfindet. Einer, der dabei ist, zählt die acht Millionen Flüchtlingshelfer vor, die seit dem Sommer der Migration aktiv waren: Das sei das Potenzial für »Zeit zu Handeln«.

Was beim bayerischen Gründungsprojekt vor allem die Asylpolitik der Etablierten ist, die Menschen nach einer neuen »politischen Heimat« suchen lässt, ist bei »Demokratie in Bewegung« eine eher grundsätzliche Distanz zu den bestehenden Parteien. Nicht Politikverdrossenheit, auch nicht Parteienmüdigkeit - sondern ein Anspruch an Inhalte, an Organisationskultur, an Mitbestimmung, über die zwar in den schon bestehenden Parteien auch geredet wird, die aber in der Praxis allenfalls unzureichend umgesetzt werden.

So sehen es jedenfalls die Neugründer. Was sich hier an neuen Organisationsknoten zeigt, ist auch ein Echo auf den Niedergang der Piraten. Die Sehnsucht nach einer Partei, die alles anders macht, ist weiterhin groß. Und das ist vor allem ein Urteil über die Parteien, die es schon gibt. Auch über die Linkspartei. Der Politikexperte Horst Kahrs hat dieser nach den Landtagswahlen mit auf den Weg gegeben, sich mit der Frage zu beschäftigen, »warum sie bei einer so großen Bewegung« von früheren Wählern der Parteien links von der Union, die anders abgestimmt haben als bei der Wahl zuvor, in »nur so geringem Maße als Alternative in Frage gekommen ist«. Hinzu kommt: In Nordrhein-Westfalen haben 35 Prozent gar nicht gewählt. Bei anderen Wahlen sieht es ähnlich aus.

Die Linkspartei hat bei den Abstimmungen der letzten Jahre meist überdurchschnittlich bei Jüngeren abgeschnitten, sie war in Städten erfolgreicher, in denen es Hochschulen gibt, sie gewinnt sogar Mitglieder hinzu - und ein großer Teil von ihnen ist unter 45 Jahren. So wie ein großer Teil der Menschen, die sich jetzt für Neugründungen wie DiB oder »Zeit zu Handeln« interessieren.

Wenn die Linkspartei aber wegen Äußerungen aus der ersten Reihe etwa zur Asylpolitik als eine Organisation der »Ambivalenzen« wahrgenommen wird, und eben nicht als eine der Willkommenskultur, wie das der Linkenkenner Thomas Falkner noch eher zurückhaltend beschrieben hat, dann suchen sich Freunde der Willkommenskultur eben eine andere Partei. Oder sie gründen eine eigene.

Wie zum Beispiel »Die Urbane«. Dass das Berliner Polit-Startup als »Hip-Hop-Partei« durch die Medien ging, führt etwas in die Irre. Denn auch wenn sie ihre Wurzeln in der Musikszene der Hauptstadt hat, zielt man doch auf ein viel breiteres Spektrum. Es soll keine Partei nur für Großstädte sein, unter »urban« wird eher eine »Metapher für die Herausforderungen einer zusammenwachsenden Gesellschaft über Städte, Regionen und Nationen hinaus« verstanden.

Andererseits beschreibt die Stilrichtung das Selbstverständnis sehr gut, das aus der Verwurzelung in der Hip-Hop-Kultur herrührt: Es geht um Solidarität, um Veränderung durch Alltagspraxis, um Akzeptanz des Unterschiedlichen. Und um die Erweiterung des politischen Denkrahmens über das alte Nationalstaatliche hinaus, das ist ohnehin ein die Neugründungen verbindender Punkt.

Die Gründer der »Urbane«, vor allem Musiker, Tänzer, DJs, haben den Stein im Februar dieses Jahres ins Rollen gebracht. Schnell waren die ersten 100 Mitglieder zusammen, die erste öffentliche Veranstaltung vor ein paar Tagen »lief besser als wir uns erhofft hatten«, heiß es. Und man hält es auch für realistisch, die Kriterien für die Zulassung zur Bundestagswahl noch zu schaffen.

31 Seiten hat das vorläufige Programm: soziale, globale Gerechtigkeit, Kritik am Kapitalismus und an der Festung Europa, ökologische Nachhaltigkeit, Austritt aus der NATO. Das alles liest sich wie ein linker Politikkatalog. Aber es liest sich besser als ein linkes Parteiprogramm. Weniger bürokratisch. Es steckt darin eine Hoffnung, vielleicht auch eine Naivität, die aber von einem Veränderungswillen zeugt, der noch nicht in der Mühle realpolitische Kompromissbildung und parteiinterner Ressourcenkämpfe zermahlen wurde.

Richtig ist freilich auch: Kategorien wie »links« treffen das Selbstverständnis der neuen Parteiprojekte gar nicht so punktgenau. Wird dazu gefragt, fallen die Antworten eher ausweichend aus. Das liegt zum Teil an einer Sichtweise, die man von Podemos in Spanien oder auch von Emmanuel Macrons Bewegung kennt - das alte Koordinatensystem wird für überholt erklärt. Es liegt zu einem anderen Teil daran, dass man der noch nicht abgeschlossenen Programmfindung nicht vorgreifen will.

Ob die Neugründungen Erfolg haben, lässt sich noch kaum sagen. Eine andere Frage ist, ob mehr Parteien im Mitte-Links-Spektrum eher dazu führen, dass man sich gegenseitig Stimmen wegnimmt - oder doch eher zusätzlich Menschen zur Stimmabgabe mobilisiert werden, die bisher keine Wahl für sich sahen.

So betrachtet sind die Neugründungen vielleicht auch ein Ausdruck der Revitalisierung der Parteiendemokratie: Menschen, die bisher in Einzelprojekten engagiert waren oder bei NGOs mithalfen, machen vor dem Hintergrund einer schweren Krise nun den in parlamentarischen Demokratien logischen nächsten Schritt: Die Willensbildung wird über Parteien organisiert, wer mit Demonstrationen, Hilfsprojekten und Onlineresolutionen nicht weiterkommt, gründet eine.

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