Kolossal verzockt

Konservative verlieren absolute Mehrheit

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch ein solcher Sieg und wir sind verloren, meinte der König von Epirus im Krieg gegen die Römer. Theresa May ist keine Expertin für antike Geschichte, aber spätestens nach Schließung der Wahllokale um 22 Uhr am Donnerstagabend und gleichzeitiger Veröffentlichung der ersten Hochrechnung im BBC-Fernsehen ging es ihr wie seinerzeit König Pyrrhus.

Zwar blieben ihre Konservativen mit 44 Prozent stärkste Partei, aber der erhoffte, von den meisten Demoskopen versprochene Erdrutschsieg blieb aus. Noch schlimmer für die Pfarrerstochter: Sie hatte mit der vorzeitigen Wahlankündigung ihre Unterhausmehrheit von 17 Mandaten verstärken wollen, stattdessen büßte sie sie ein. Mit 318 oder 319 von 650 Sitzen - im Londoner Wahlkreis Kensington ist das Ergebnis so knapp, dass noch ein drittes Mal nachgezählt wird - verfehlte sie die absolute Mehrheit und muss jetzt versuchen, mit Hilfe der nordirischen evangelischen Democratic Unionist Party (DUP) unter Arlene Foster weiter zu regieren.

Zwar ignoriert May vorerst alle Rücktrittsforderungen - ob vom Oppositionsführer Jeremy Corbyn oder von der eigenen Hinterbänklerin und EU-Anhängerin Anna Soubry. Ein Nachfolgekampf mit schillernden Figuren wie dem Außenminister Boris Johnson, Erzlügner der Brexit-Abstimmung, oder dem ruppigen Brexit-Unterhändler David Davis ist für ihre Partei zurzeit so überflüssig wie ein Kropf.

Andererseits: Einen Wahlkampf mit einem Vorsprung von über 20 Prozentpunkten anfangen und am Ende mit knapp drei Prozent gewinnen, ist kein Beweis von großer Staatskunst. Die Drohungen im konservativen Manifest, RentnerInnen ihre Winterstromsubventionen zu streichen oder Demenzkranke durch den Verkauf ihres Wohneigentums an den Kosten ihrer Pflege zu beteiligen, erwiesen sich als Eigentore. Dazu kam die Tatsache, dass die angeblich »starke und stabile« Kandidatin den Kontakt mit dem Publikum scheute, einem Fernsehduell mit Labour-Chef Corbyn auswich und wie ein kalter Fisch wirkte. Vielleicht bekam sie beim Besuch im Buckingham-Palast von der Queen eine Tasse Tee angeboten, aber viele Tories würden ihm lieber heute als morgen Gift beimischen.

Ganz anders Labour-Chef Corbyn, vielleicht der strahlendste Verlierer in der Geschichte. Denn kaum einer, weder in der Presse noch gar der eigenen Fraktion, hatte dem Linken eine Chance eingeräumt. Aber Wahlversprechen wie die Vergesellschaftung der privatisierten, die Steuerzahler schröpfenden Bahn, Post und Wasserwerke erwiesen sich trotz aller Unkenrufe als populär. Die Bereitschaft, mit der Austeritätspolitik Schluss zu machen sowie die von den Tories verdreifachten Studiengebühren abzuschaffen, begeisterten Jungwähler, von denen mehr an die Wahlurnen strömten als bei jeder Wahl seit Tony Blairs Triumph 1997.

Der im persönlichen Gespräch sympathische »Jezza« gewann im Gegensatz zu allen Labour-Vorgängern seit 20 Jahren 29 oder 30 Mandate hinzu, ist damit trotz der fortgesetzten Oppositionsrolle vor allen innerparteilichen Widersachern sicher.

Das kann man von den anderen Parteivorsitzenden, mit Ausnahme der hoch angesehenen, in Brighton wiedergewählten Grünen-Chefin Caroline Lucas, nicht sagen. Paul Nuttall, Chef der rechten UKIP, hat nach einem schmählichen dritten Platz im ostenglischen Skegness den Hut genommen; Nigel Farage wird ihn wohl noch einmal an der Spitze ersetzen. Liberalenführer Tim Farron sieht zwar seine Fraktion von neun auf zwölf Sitze vergrößert, damit passen die Mitglieder schon in drei Taxis, aber er muss ohne den in Sheffield von Labour geschlagenen Vorgänger Nick Clegg auskommen. Die schlimmsten Rückschläge hatten jedoch Nicola Sturgeons Schottische Nationalisten zu verzeichnen, die 21 von 56 Mandaten an Konservative, Labour und Liberale abgeben mussten. Sowohl Sturgeon-Vorgänger Alex Salmond als auch der Unterhausfraktionschef, der kluge Angus Robertson, wurden von den Konservativen besiegt, die damit einen Teil ihrer Verluste in England wettmachen konnten. Hier war Sturgeons Beharren auf einer baldigen zweiten Unabhängigkeitsabstimmung nördlich des Tweed alles andere als hilfreich. Damit ist dieser Plan wohl fürs erste vom Tisch. Dass die verbündeten Walisischen Nationalisten von Plaid Cymru einen Sitz hinzugewannen und auf vier kamen, bot Sturgeon wohl wenig Trost.

Jetzt kann die DUP zeigen, was eine rechte Kleinpartei als May-Partnerin für sich herausholen kann: etwa im Gegensatz zu Sinn Fein, deren sieben Abgeordnete sich als irische Nationalisten weigern, ihre Sitze im Westminster-Parlament einzunehmen. Doch bergen die Unionisten Widersprüche in sich: eindeutige Brexit-Anhänger, aber für die Beibehaltung aller Straßen- und Bahnverbindungen zur Republik Irland im Süden. Die politische Schnittmenge zwischen Tories und reaktionären Unionisten - die beispielsweise die Schwulen-Ehe ablehnen - ist nicht unbegrenzt. Ein paar Geschenke für nordirische Wähler kann Mays Finanzminister Philip Hammond sicher anbieten. Aber die zu enge Bindung an eine der beiden wichtigsten nordirischen Parteien könnte auch die Rückkehr von Sinn Fein zur Koalition im Stormont-Parlament gefährden. Kurzum: Ob lang oder kurzfristig im Amt, May hat es nicht einfach. Britannien auch nicht.

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