nd-aktuell.de / 03.07.2017 / Sport / Seite 18

»Packt 2018 die Regenbogenfahne ein!«

Der russische LGBT-Aktivist Alexander Agapow wünscht sich couragierte WM-Touristen

Alexander Agapow ist Vorsitzender des russischen LGBT-Sportverbands.
Alexander Agapow ist Vorsitzender des russischen LGBT-Sportverbands.

Zu welchem Moskauer Klub halten Sie denn? Spartak? ZSKA?
Zu keinem, ehrlich gesagt. Das Nationalteam mag ich, ja, und den Fußball im Allgemeinen. Aber im Stadion war ich noch nie.

Warum?
Man kann ja nur dorthin gehen, wenn es gute Leute rund um einen gibt, aber für mich gibt es die beim Fußball nicht. Gerade in meiner Jugendzeit gab es dort oft Schlägereien. Und ich hatte ein schlimmes Erlebnis an meinem Oberstufenzentrum. Es gab in meiner Klasse einen Spartak-Fan. Der verprügelte mich eines Tages an der Bushaltestelle, nur weil er wusste, dass ich schwul bin. Er war stolz darauf und brüstete sich damit. Vielleicht war das der Moment, wo ich mit Fußball gebrochen habe. Weil ich wusste, dass Leute wie er im Stadion die Macht haben.

Beim Confed Cup hatten diese Leute nicht die Macht, zum Glück. Oder haben Sie etwas Schlechtes gehört?
Ich treffe viele Fans und die sagen mir, es habe dort eine bessere Atmosphäre als sonst beim Fußball in Russland geherrscht. Das macht mir Hoffnung. Vielleicht gehe ich ja eines Tages doch nochmal ins Stadion! Vielleicht zum Nationalteam? Die WM 2018 könnte eine gute Gelegenheit sein.

Sie sind Präsident des Russischen LGBT-Sportverbandes. Wird so eine Organisation in Russland mit seiner rigiden Antihomosexuellen-Gestzgebung überhaupt geduldet?
Ja, wir haben eine Lizenz als NKO, als nichtkommerzielle Organisation. Das funktioniert alles. Unsere Inspiration waren die Gay Games in Köln 2010, an der einige von uns teilgenommen haben. Wir waren so beeindruckt, dass wir beschlossen haben, so etwas auch anzustreben.

Gab es schon einmal Gay Games in Russland?
Nein, dazu fehlt uns die Kapazität. Dazu sind wir zu klein. Aber ich bin sicher, wir werden das irgendwann mal haben. Ich glaube, nach 2024 könnte so etwas möglich sein. Vielleicht ahnen Sie ja, warum ich diese Jahreszahl nenne ...

Ich spekuliere mal, dass es damit zu tun haben könnte, dass nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen sind und dass der Präsident dann sechs Jahre amtiert. Lassen Sie uns auf die WM 2018 blicken: Stellen wir uns vor, Deutsche kommen 2018 nach Russland zur WM und schwenken auf dem Weg zum Stadion die Regenbogenfahne. Ginge das angesichts des »Gesetzes zum Schutz der Minderjährigen«?
Das ist die große Frage. In dem Gesetz ist alles sehr schwammig formuliert, sicherlich zu dem Zwecke, es so oder so auslegen zu können. Es könnte also durchaus passieren, dass den Ausländern rein gar nichts passiert. Auch die harten russischen Fans werden vorsichtig sein, weil sie die Polizei um sich wissen. Und weil sie annehmen, dass die Fans aus dem »schwulen Westen« eh unbelehrbar sind. Dass die Polizei hier auch sehr freundlich zu Schwulen sein kann, hat man beim Eurovision Songcontest 2009 gesehen. Da gab es ein ESC-Dorf am Roten Platz. Dort konnten sich die Männer in aller Öffentlichkeit küssen, ohne von der Polizei belangt zu werden. Damals gab es das Gesetz allerdings noch nicht.

Wie ist die Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Russland dieser Tage?
Es ist schwer. Der Staat hat das Thema sexuelle Orientierung stark politisiert und polarisiert damit. Heute gibt es entweder »Patrioten« oder die »fünfte Kolonne«, also die »Verräter«. LGBT ist unter letzterem einsortiert. Wir sind demnach »westliche Agenten«, die die russische Familie, die russische Gesellschaft und den russischen Staat »unterminieren«. Wir »schaden« der Demografie. Und wenn homosexuelle Paare beispielsweise Kinder haben, können sie ihnen weggenommen werden. Dazu muss nur eine besorgte Großmutter oder Tante bei der Polizei anrufen.

Gibt es auch Adoptionen durch Schwule oder Lesben?
Sie gelten als Alleinstehende, es ist fast unmöglich.

Wie viele der Mitglieder hat Ihre Organisation und wie viele davon spielen Fußball?
Wir haben nach den Gesetzen keine Mitglieder sondern nur Follower, die sich registrieren und den Wunsch ausdrücken, bei uns Sport zu treiben. Das sind etwa 1700 Menschen. Von denen sind ungefähr 220 aktive Fußballer, zu 95 Prozent Frauen übrigens. Unter den Männern ist der Volleyball beliebter, weil das Image nicht so schlecht ist. Im Fußball wird Schwulsein als Beleidigung benutzt: Die Fans schwenken die Regenbogenfahne, auf die sie die Namen der verhassten Gegner geschrieben haben. Oder man nutzt es auch zu PR-Zwecken. Ein Bäcker in Moskau hat ein Schild im Fenster: Hier werden Schwule nicht bedient. Viele Onlinemedien berichteten darüber. Die Schwulenfeinde bekamen ihre Werbung. Die verantwortlichen Offiziellen indes fanden an dieser Diskriminierung nichts zu beanstanden. Das Schild hängt bis heute da.

Gibt es schwule oder lesbische Fußballteams?
Es gibt keinen Fußballklub, der als schwul oder lesbisch registriert ist und am Amateurspielbetrieb teilnimmt. Gelegentlich schließen sich Lesben aus einem Amateurteam zu einem lesbischen Team zusammen, um an unseren Veranstaltungen teilzunehmen.

Wäre die Gründung eines rein lesbischen Teams theoretisch möglich?
Theoretisch ja, aber Bürokratie und Registrierung wären sicherlich schwer. Auch die Schiedsrichter würden es der Mannschaft dann auf dem Feld wohl nicht einfach machen.

Gibt es eine Sportlerin oder einen Sportler in Russland, der offen homosexuell ist?
Niemanden. Nur einen Fußballer, der sich »gay-friendly« gezeigt hat, das ist der in Deutschland aufgewachsene Roman Neustädter (früher bei Schalke). Er hat die russische Staatsbürgerschaft angenommen und hat sich als einziger schon einmal gegen Homophobie positioniert, in Berlin bei der »Football Pride Week«. Aber er ist vorsichtig, er will ja zur Nationalmannschaft gehören und bei der WM mitspielen. Man hat lange nichts von ihm gehört, er spielt jetzt in der Türkei.

Was tut der russische Fußballverband RSF gegen Homophobie?
Nichts. Es gab neulich eine Frauenfußballkonferenz in Moskau, da war Natalja Awdontschenko dabei, die Vorsitzende des Frauenfußballkomitees der RSF. Als die Frage über die Bekämpfung des Vorurteils aufkam, dass Mädchen vom Fußball zu maskulin würden und dazu auch noch »zur Homosexualität verführt«, sagte sie: »Schauen Sie mich an, ich bin das beste Beispiel dafür, dass das nicht passiert. Ich bin weiblich, gut aussehend und habe Mann und Kinder.« Aber auf meine Frage, was der Verband gegen Sexismus und Homophobie tut, sagte sie, das sei kein Thema. Schauen Sie mal auf die Homepage des RSF und geben Sie in der Suche die Worte LGBT oder Homophobie ein! Da kommt nur eine Weiterleitung auf die Seiten des europäischen Fußballverbandes UEFA. Der Verband selbst verliert kein einziges Wort darüber. Er erkennt nicht einmal an, dass es ein Problem mit Diskriminierung gibt.

Hat sich die FIFA je an Sie gewandt - im Vorfeld des Confed Cups hätte man sich das ja vorstellen können?
Nein, die wollen wohl keinen Ärger. Aber das ist nicht schlau, denn genau hier könnte die FIFA doch zeigen, dass sie zu kleinen Schritten bereit ist. Natürlich ist die Forderung vermessen, dass die FIFA versuchen soll, hier in Russland Gesetze zu verändern. Das ist auch nicht ihr Job. Aber sie könnte ja im Kleinen zeigen, dass ihr das Thema wichtig ist. Es braucht lokale Aktivisten, es braucht die globale LGBT-Community und auch die Verbände mit ihren Sponsoren müssen sich positionieren und von den Veranstaltern die Einhaltung der Menschenrechte einfordern.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass sich die Dinge für die LGBT-Community ändern, dass es eines Tages hier so wird wie in Schweden oder bei Ihnen in Deutschland, wo Sie gerade heute die »Ehe für alle« im Gesetz festgeschrieben haben. Bei uns geht alles langsam, aber ich habe Hoffnung: Schauen Sie sich Spanien unter Franco an, ein faschistisches Land. Starke Kirche, starkes Militär, starke nationale Idee - so wie hier heute. Dann starb Franco und schon zehn Jahre später spielte all das keine Rolle mehr.

Und was wünschen Sie sich von ausländischen Fans, die zur WM kommen?
Sie sollen sich als freie Menschen hier bewegen, so wie sie es zuhause tun. Packt die Regenbogenflagge ein und versucht nicht, Euch dem Druck hier zu sehr zu beugen!