Themar: 43 Strafanzeigen gegen Neonazis

Konzert »gegen Überfremdung« zieht tausende Rechte in thüringische Kleinstadt / Ein paar hundert Menschen finden sich zum Protest ein

  • Sebastian Haak, Themar
  • Lesedauer: 6 Min.

Update 11.00 Uhr: 43 Strafanzeigen gegen Neonazis aufgenommen
Knapp 6000 Anhänger der rechten Szene haben am Samstag das bundesweit wohl größte Neonazi-Konzert des Jahres im südthüringischen Themar besucht. Der Zulauf zu den Gegenprotesten war entgegen der Erwartungen verhalten. Statt der erwarteten 2000 Menschen demonstrierten in der 3000-Einwohner-Stadt mehrere Hundert geschlossen gegen Rechts. Die Polizei meldete am Sonntagmorgen, alle ihrer Maßnahmen hätten sich gegen die Teilnehmer des »Rock gegen Überfremdung«-Konzerts gerichtet, gegen die Gegendemonstranten sei kein Eingreifen erforderlich gewesen.

So seien 43 Strafanzeigen unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz gestellt worden. Drei Menschen wurden in Gewahrsam genommen, von 440 weiteren wurde die Identität festgestellt.

Rund 1000 Polizisten aus Thüringen und mehreren Bundesländern waren im Einsatz - auch um ein Aufeinandertreffen der Teilnehmer des Rockkonzerts mit den Gegendemonstranten zu verhindern. Die Rock-Konzert-Besucher, teils mit T-Shirt-Aufschriften wie »Sturm auf Themar« oder »Frei wie ein Vogel«, wurden vor Eintritt in das mit hohen Gittern eingezäunte Festivalgelände von der Polizei durchsucht. Auf der Wiese war ein riesiges Zelt aufgebaut. Neun Gegenveranstaltungen waren angemeldet worden.

Bürgerinitiativen, die Kirche und Privatleute hatten vor dem Konzert zum Protest aufgerufen. In der Kleinstadt, in der bunte Plakate und Transparente zu sehen waren, war es trotz Bürgerfest und kleinen Protesten auffallend ruhig. Der stellvertretende Landrat von Hildburghausen, Helge Hoffmann, sagte, was die kleine Gemeinde an Protest organisiert habe, sei ehrenwert. Er gab zu bedenken: »Wir sind hier in einem ländlichen Raum.« Er habe sich jedoch mehr Unterstützung aus der Region gewünscht.

Die Lektion von Themar

Dass nicht einmal fünfzig Meter hinter ihr der Hass dröhnt, hält Ulrike Polster nicht ab. Tief und laut wummern die Bässe zu der Wiese herüber, auf der sie steht. Das Gras ist noch feucht vom Regen, der immer wieder fällt. Und es ist grün. So wie viele der Absperrgitter der Polizei, die zwischen Polster und dem Ursprung des Hass-Bass’ stehen, die aber eben nicht verhindern können, dass der Neonazi-Rock aus dem Zelt hinaus, bis hinüber zu der Frau mit dem dunklen, kurzen Haar dringt. Polster ist eine von hunderten Menschen, die an diesem Samstag gegen die Veranstaltung »Rock gegen Überfremdung« im thüringischen Themar demonstrieren.

Sie betet: »Herr, unser Gott, stärke die Menschen, die sich für Mitmenschlichkeit einsetzen«, sagt sie. »Segne alle, die heute ihre Fantasie und Kraft einsetzen, um friedlich gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.« Dann singt sie gemeinsam mit einer Handvoll älterer Männer und Frauen einen Choral. Doch ihre Gebete werden nicht erhört. Von der Neonazi-Veranstaltung sind Satzfetzen wie »Überfremdung«, »Deutschland«, »zerstört werden sollen« zu hören. Deutlicher werden die rufe ein paar Minuten später, als tausende Kehlen den Namen des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß grölen. Immer wieder. Und wieder. Polster, die Pastorin der Kleinstadt Themar, ist da schon wieder auf dem Rückweg in die Stadtmitte.

Dorthin, wo an diesem Samstag viele kleine Kundgebungen stattfinden, mit denen die Einwohner der Stadt ihren Unmut darüber bekunden, dass tausende Neonazis zu ihnen kommen, um ein musikalisches Hass-Festival zu feiern. Wie viele Rechtsextreme schließlich im Ort sind, der nicht einmal 3000 Einwohner hat, ist bis zum Samstagabend unklar, weil der Zustrom der braunen Konzertbesucher den gesamten Tag über einfach nicht abreißen will. Am späten Nachmittag sagt ein Sprecher der Thüringer Polizei, es seien bereits 4500 Rechtsextreme zu dem Konzert erschienen.

Möglich ist das auch, weil zwei Thüringer Gerichte der Veranstaltung den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit zugebilligt hatten. Es seien etwa 6000 Neonazis angereist, teilt die Polizei schließlich mit. Was Themar an diesem Tag erlebt, ist also das größte Rechtsrock-Konzert, das in Thüringen jemals stattgefunden hat; und gleichzeitig eines der größten in Deutschland und Europa. Die Schätzungen der Sicherheitsbehörden aus dem Vorfeld, dass mindestens 5000 Rechtsextreme nach Themar kommen, wurde damit sogar übertroffen. Die Männer und Frauen, die in das Hass-Zelt strömen, neben dem Polster immer wieder an diesem Tag betet, tragen T-Shirts, auf denen »Sturm auf Themar«, »Division Thüringen«, »Ultrabraun« oder »HoGeSa« zu lesen ist.

Der Widerstand, auf den diese Rechtsextremen in Themar treffen, ist ein kleiner. Zahlenmäßig jedenfalls, sind in der gesamten Stadt doch nicht mehr als ein paar hundert Menschen unterwegs, die gegen die Neonazis Traktor fahren; Straßen bemalen oder Luftballons steigen lassen.

Und trotzdem wäre es falsch, diesen Widerstand zu unterschätzen. Romy Arnold – eine der stellvertretenden Landesvorsitzenden der Thüringer Jusos, die mit einer Gruppe Gegendemonstranten von Proteststation zu Proteststation zieht – sagt, immerhin dürfe man nicht vergessen, wo man hier sei: im ländlichen Raum nämlich. »Ich finde es großartig, was die Menschen hier organisiert haben«, sagt sie. In den größeren Thüringer Städten wie Erfurt oder Jena sei es recht einfach, gegen Rechtsextreme auf die Straße zu gehen. »Hier aber bedeutet Gesicht zu zeigen auch, gesehen zu werden – und zwar auch von Leuten, von denen man das eigentlich nicht möchte.« Einige hundert Gegendemonstranten in Themar, das entspräche relativ betrachtet einigen zehntausend Gegendemonstranten in der Landeshauptstadt Erfurt.

Furcht vor den Rechtsextremen ist in Themar spürbar. Der Anwohner Torsten Elsner sagt, dass mehr Menschen als üblich an diesem Tag ihre Rollläden unten gelassen. »Man hat schon ein mulmiges Gefühl.« Elsner deutet mit einer Hand vor sein Haus. Viele hätten ihre Autos zudem in Sicherheit gebracht, weshalb es so viele freie Parkplätze gebe. Aber Elsner sagt eben auch: »Die Stadt ist dadurch näher zusammengerückt.« Das gelte auch für Menschen, die eigentlich nicht so viel miteinander zu tun hätten.

Viele, die an diesem Tag erklären sollen, warum der Protest gegen die Rechtsextremen damit qualitativ so viel stärker ist als in den vergangenen Jahren, als bereits bis zu etwa 3500 Neonazis zu Rechtsrock-Konzerten in den Landkreis kamen, sagen, das habe vor allem damit zu tun, dass sich die Verantwortlichen in der Stadt nicht vor den Problemen, die das bringe, weggeduckt hätten. In verschiedenen Variationen ist das zu hören, diese Lektion von Themar.

Die Thüringer Landtagsabgeordneten Madeleine Henfling (Grüne) und Katharina König-Preuss (LINKE) erklären, vom Bürgermeister über die Kirche bis hin zu den Vereinen hätten sich alle von vorne herein klar gegen die Rechtsextremen positioniert. »Sie haben nicht darüber debattiert, ob sie protestieren, sondern nur, wie sie es machen«, sagt Henfling.

Und Torsten Jakob ergänzt: Es habe sich gezeigt, dass es nichts bringe den Kopf in den Sand zu stecken, so wie andere Kommunalpolitiker im Landkreis das bislang gemacht hätten. Jakob stammt aus Themar, lebt aber schon lange in Erfurt. In den vergangenen Wochen war er intensiv in die Vorbereitung der Proteste eingebunden. Das massive Polizeiaufgebot in der Stadt, das große öffentliche Interesse an dem Neonazi-Konzert und den Protesten, die parlamentarische Beobachtungsgruppe des Thüringer Landtages, der Henfling und König-Preuss angehören – dass es all das gebe, sagt Jakob, habe damit zu tun, dass man in Themar das Problem nicht verschwiegen und quasi öffentlich um Hilfe gebeten habe.

An dem Tag, als am Stadtrand von Themar der Hass dröhnt und Besucher mit T-Shirt-Aufdrucken wie »Division Thüringen« zu beobachten sind, trägt Jakob ein Oberteil, auf dem steht »Die Vision für Thüringen«. Diese vier Worte rahmen ein weiteres ein: »nazifrei«. mit Agenturen

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