Acht Jahre sind genug

Mehr Kanzlerzeit ist Narkose und schläfert die Demokratie in vielen kleinen Schritten ein

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines muss man den Sozialdemokraten ja lassen: Sie haben das Wahlprogramm der Union mit etwas mehr Laune und Verve als das Original an die Leute gebracht. Inhaltlich ist das Ding ja nicht der Rede wert, es ist ein elitaristisches Steuerkonzept mit einigen Versprechungen ohne Gewähr. Die Union selbst hat ja dasselbe Wahlprogramm ganz anders vorgestellt. Ein müder alter Mann aus Bayern nuschelte etwas von Innovation und seine abgekämpfte ältere Richtlinienkompetenz stierte mit ausdruckslosen Augen in die Menge der Journalisten. Auch sie kam zu Wort, formulierte ohne viel Energie nette Binsen. So sagte sie, sie habe »Lust auf Zukunft«, was ein bisschen so klang, wie wenn andere Leute ihre Lust auf einen lustigen Grillabend zum Ausdruck bringen.

Wären die beiden Lager Kombattanten in einer Casting-Show, müssten sie dort denselben Song je auf ihre eigene Weise interpretieren, man wüsste wer den Recall nicht schafft: Der müde Bayer und seine Kanzlerin. Die wären raus. Der frische Wind der SPD ist kein inhaltlicher, mehr so einer von der Performance her. Dafür, aber wirklich nur dafür, könnte man sie zwischendrin mal loben. Wir allerdings bleiben hier im Konjunktiv, denn es ist leider eben genau diese SPD, die Frau Merkel im Amt bestätigt. Die leere Sozialdemokratie ist wie ein historisches Ereignis, das einer abgetakelten Kanzlerschaft genau dann in die Quere kommt, wenn sie sie am nötigsten braucht.

So einen Effekt haben wir schon mal in dieser Republik beobachten können. Der Oggersheimer war um 1989 eigentlich politisch am Ende. Lafontaine würde Kanzler werden. Das stand fest. Des Pfälzers Politik war die eines Mannes, der sich mit den Mächtigen der Wirtschaft in Hinterzimmern trifft. Wo andere Kanzler die ruhige Hand walten ließen, betrieb er eine Politik des Scheckbuches und der Schwarzkassen. Helmut Kohl hatte abgewirtschaftet, sein provinzieller Ton bei gleichzeitiger Großmannssucht verlangte nach geistig-moralischer Wende. Die Demoskopen versprachen sie. Dann fiel die Mauer und deren Brocken lagen Lafontaine im Weg. Kohl rettete sich in weitere acht Jahre Kanzlerschaft.

Die bleierne Schwere seiner scheinbaren Alternativlosigkeit, von der man heute gelegentlich in Rückschauen spricht, stammt vor allem aus dem zweiten Teil seiner Ära. Vorher war er zwangsläufig, er musste es ja irgendwann ins Amt schaffen, die Sozis konnten nicht ewig im Kanzleramt bleiben. Er würde kommen und in einer überschaubaren Zeit wieder gehen. Dass seine Amtszeit dann aber vermeintlich künstlich verlängert wurde, das wirkte irgendwie surreal, wie ein Eingriff in eine ganz anders geplante Geschichte.

Bei der heutigen Kanzlerin ist das nicht so viel anders. Dass nach der Agenda 2010 die Union einen neuen Kanzler stellen würde, war ja der normale Lauf der Dinge. Die Sozialdemokraten waren am Ende. Dass sie sich aber nach vier, spätestens aber nach acht Jahren immer noch im Sattel wusste: Das hatte schon etwas Unwirkliches. Dass sie nach zwölf Jahren weiterhin auf dem Posten bleiben wird, ist eigentlich unerklärlich. Ihr historisches Ereignis, dass ihr zur gefühlten Endlosigkeit verhalf, ist allerdings keine Mauer, die fiel, sondern eine Partei, die sich selbst fallengelassen hat und nicht mehr weiß, wie man sich wieder auf die Hinterbeine stemmt.

Wenn man den müden Kohl nach der Wende und wenn man die ermatteten grauen Gesichter von Merkel und ihres bayerischen Vasallen neulich sah, dann muss man doch wirklich mal nachfragen, ob denn hier eine Verfassungsänderung nicht sinnvoll wäre. Eine, die uns Wähler vor Saftlosigkeit und verblühter Tristesse bewahrt. Acht Jahre sind doch nun wirklich genug. Mehr Kanzlerzeit ist Narkose und schläfert die Demokratie in vielen kleinen Schritten ein. Die Geschichte der Republik gibt eine solche Einschätzung her.

Eine Demokratie kann nicht der Ort sein, wo sich eine an die Grenzen gekommene Richtlinienkompetenz nur deswegen im Amt festsetzt, weil der Zeitgeist einem die Illusion von Alternativlosigkeit vorgaukelt. Mit Kontinuität hat das bei Merkel wie bei Kohl jedenfalls nichts zu tun. Sondern mit historischem Glück. Begrenzte Amtszeiten können da ein Regulativ sein. Wenn sie diese zeitliche Obergrenze mit müden Gesichtern verlesen würden, dann würde das Land hellwach.

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