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Mit leeren Sitzen durch die Welt

Air Berlin stellte Insolvenzantrag

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gab lange keinen Grund, über Joachim Hunold zu reden. Jetzt, da die Fluggesellschaft Air Berlin die letzte Notlandung versucht, ist es angebracht, den Namen ihres Gründers zu nennen. Hunold, der ein Jurastudium abgebrochen hatte, arbeitete zunächst als Gepäckverlader. Nachdem er im LTU-Management Erfahrungen gesammelt hatte, wollte er mit Air Berlin, die es als winzige Charterfluggesellschaft im US-Staat Oregon gab, Höhenflüge wagen.

Im Frühjahr 1992 startete der erste Flug der deutschen Air Berlin von Berlin-Tegel nach Mallorca. Man hatte zwei Flugzeuge und 150 Mitarbeiter. Später betrieb das börsennotierte Unternehmen über 150 Maschinen und beschäftigte 8300 Personen. Mit über 28 Millionen beförderten Passagieren war Air Berlin nach der Lufthansa die zweitgrößte deutsche und die siebtgrößte europäische Fluggesellschaft.

Konkurrenten schauten argwöhnisch auf den Emporkömmling. Doch noch schneller als die eigene Leistung wuchs der Größenwahn. Bis alles über Hunold zusammenschlug. Hartmut Mehdorn, der bereits die DASA und die Bahn heimgesucht hatte, übernahm. Das war, bevor er den neuen Großflughafen BER tiefer in die roten Zahlen drücken konnte.

Solche Negativbilanzen kannte Mehdorn von Air Berlin. Seit 2008 schrieb man da Verluste. Einen Hoffnungsschimmer gab es 2012. Der hatte einen einzigen Grund: Etihad. Seit 2011 hielt der arabische Fluglinien-Großaktionär 29,2 Prozent und damit das Unternehmen Air Berlin am Leben. Immer in der Hoffnung, so ins Europa-Geschäft einzusteigen, wenn Air Berlin denn erst Platzhirsch auf dem neuen Hauptstadtflughafen geworden ist. Etihad hatte eigentlich versprochen, weiter für Air Berlin zu zahlen. Zumindest so lange, bis sich eine andere Lösung findet. Doch 2016 verbuchte Air Berlin mit gut 780 Millionen Euro einen Rekordverlust. Zusammen mit den Verlustvorträgen der vergangenen Jahre hat sich auf diese Weise ein Schuldenberg von rund 1,2 Milliarden Euro angehäuft. Mangels Erfolgsaussichten zogen die Scheichs in Abu Dhabi die Reißleine.

Untergehen oder betteln gehen - vor der Wahl sah sich Air Berlin, die ja auch mit der österreichischen Touristiktochter Niki verbunden ist, gestellt. Die Beschäftigten drohten mit Arbeitskämpfen. Die Lage verschärfte sich mit der Umstellung auf den Sommerflugplan. Flugausfälle und Verspätungen häuften sich. Also bat das Management die Bundesländer Berlin und Nordrhein-Westfalen um Bürgschaften. Man wollte mal wieder ganz groß durchstarten. Einen starken Partner, so sagte die Bettelgroup und präsentierte JetBlue aus den USA. Gemeinsam wollte man attraktive Umsteigemöglichkeiten zu 31 Zielen schaffen. Doch da waren die Passagiere es längst leid, immer nur Versprechungen zu hören. Sie wollten lieber, dass Air Berlin sie und ihr Gepäck pünktlich transportiert. Und zwar gemeinsam.

Ausgerechnet in den Urlaubsmonaten, in denen sich Airlines normalerweise Winterspeck anfressen, sanken die Passagierzahlen der »Hauptstadt-Airline«. Im Juli verlor man im Vergleich zum Vorjahresmonat 24 Prozent und rutschte auf 2,44 Millionen Passagiere. Auch wenn man die 38 Maschinen berücksichtigt, mit denen man inzwischen für Lufthansa flog, war das Ergebnis deprimierend. Die Auslastung der Flugzeuge, die ein bereits eingeschränktes Streckennetz bedienten, sank auf 82,4 Prozent. Es war nicht nur für Fachleute unübersehbar: Air Berlin flog immer mehr leere Sitze durch die Welt.

Lufthansa wurde schon mehrfach zur Übernahme von Air Berlin gedrängt. Doch solange niemand für die Schulden gerade steht, sagt die Kranich-Linie kein Wort dazu. Wohl aber das Bundeswirtschaftsministerium: Die Verhandlungen von Air Berlin mit Lufthansa und einer weiteren Airline zur Veräußerung von Unternehmensteilen seien »sehr weit fortgeschritten«. Nächste Woche könnte eine Entscheidung »finalisiert werden«, heißt es. Dass Lufthansa nun doch verhandelt, hat damit zu tun, dass Low-Cost-Carrier wie Ryanair und Easyjet Aas wittern und sich mit Hilfe der Air Berlin-Landerechte, sogenannte Slots, ausbreiten wollen.

Air Berlin hat beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines »Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung« gestellt. Das heißt, das Management wurstelt weiter - mit Hilfe eines 150-Millionen-Euro-Übergangskredits der KfW. Der durch eine Bundesbürgschaft abgesichert wird. Das Bundeswirtschaftsministerium verteidigt den Einsatz von Steuergeld: »Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich mehrere Zehntausend Reisende sowie Urlauberinnen und Urlauber an verschiedenen internationalen Urlaubsorten und Destinationen aufhalten. Der Rückflug dieser Reisenden nach Deutschland mit Air Berlin wäre andernfalls nicht möglich gewesen.«

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