»Die NS-Zeit zu verharmlosen, ist ein Verbrechen«

An diesem Wochenende beginnt in Freiburg die Bundesjugendkonferenz der Sinti und Roma in Deutschland

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Motto der diesjährigen Bundesjugendkonferenz der Sinti und Roma, das an diesem Wochenende beginnt, lautet »Heimat ist nicht gestern - Heimat ist morgen - Heimat ist, was wir daraus machen«

Wir Roma sind ein sehr heterogenes Volk, das quasi auf der ganzen Welt lebt und entsprechend auch verschiedene Heimaten hat. Ich selber bin mit drei Kulturen aufgewachsen, der serbischen, deutschen und der Romakultur. Deutschland ist ganz klar meine Heimat, weil ich hier geboren und aufgewachsen bin, aber die serbische und die Romakultur sind ein wichtiger Bestandteil meiner Identität. Für Roma-Menschen ist diese Mehrdimensionalität sehr wichtig. Absolutismus, den Fanatiker beispielsweise vor sich her tragen, möchten wir Roma entgegentreten und sagen »Heimat ist das, was ihr daraus macht«

Zur Person

Nino Novakovic ist Roma-Aktivist aus Northeim in Niedersachsen. Nachdem die Eltern 1989 aus Serbien nach Deutschland flohen, zwang sie 2003 ein schwerer Schicksalsschlag zurückzugehen. Seit 2011 ist die Familie wieder in Deutschland. Novakovic studiert in Göttingen und ist u.a. Mitglied des Migrationsrates seiner Heimatstadt sowie Sprecher der Roma-Initiative Südniedersachsen. Mit ihm sprach Florian Brand.

Foto: privat

Bei der Bundesjugendkonferenz im vergangenen Jahr gab es große Diskussionen darüber, wie man mit Kamerateams umgeht. Einige Jugendliche wollten sich nicht filmen lassen, aus Angst, stigmatisiert zu werden. Wie gehen Sie damit um?

Viele Jugendliche haben einen Abwehrmechanismus entwickelt, um sich persönlich zu schützen. Ich bin Roma-Aktivist seit 2013, aber auch für mich war das ein langer Prozess der Identitätsfindung. Es ist nicht selten, dass man als Roma oder als PoC (Person of Color) keinen Job bekommt. Da werden dann andere Gründe vorgeschoben. Oder dass man die Wohnung nicht bekommt oder plötzlich Probleme in der Uni hat. Der Rassismus gegenüber Sinti und Roma ist immer noch sehr sehr stark. Das fängt schon in der Schule an, wenn beispielsweise Schulbücher vorgegeben werden, die Rassismus gegenüber Sinti und Roma reproduzieren. Der Landesverband NRW, Terno Drom, hat ein Papier herausgegeben, das aufzeigt, was Rassismus für Auswirkungen hat, und das sind Beispiele davon.

Nun ist mit der AfD eine Partei in den Bundestag eingezogen, die genau diese Ressentiments schürt.

Das ist meiner Meinung nach eine große Gefahr, die AfD jetzt als dritte Kraft im Bundestag zu haben. Davor gab es ja immer mal wieder Nazis in deutschen Parlamenten - auch Bundespräsidenten, die bei der NSDAP waren -, aber die waren nie so präsent. Das, was Alexander Gauland gemacht hat, nämlich die NS-Zeit, die Wehrmacht zu verharmlosen, ist für mich ein ganz klares Verbrechen. Dementsprechend sind solche rassistischen Äußerungen bitter für uns, also für Menschen, die sich für diese Gesellschaft engagieren und diese Gesellschaft auch verändern wollen.

Das Thema der Bundesjugendkonferenz im vergangenen Jahr war »Fremd im eigenen Land«. Fühlen Sie sich vor diesem Hintergrund »Fremd im eigenen Land«?

Menschen, die wie ich aussehen - ich habe einen dunkleren Bart, habe schwarze Haare und trage eine Brille - werden in der Regel angesehen wie jemand, der nicht aus Deutschland kommt. Dabei gibt es Sinti und Roma schon seit 600 Jahren in Deutschland. Dann sehen mich immer alle verwundert an, weil sie gar nicht wissen, dass die ersten Sintis zum Beispiel schon im 15. Jahrhundert nach Hildesheim kamen. Und es ärgert mich schon, wenn mich jemand fragt: »Woher kommst du eigentlich?«. Mit dieser Frage wird mir von vornherein unterstellt, gar nicht aus Deutschland zu stammen. Deswegen bin ich der Meinung, dass hier in der deutschen Gesellschaft ein Umdenken stattfinden muss.

Und dann gibt es, wie in den französischen Kinos unlängst angelaufen, Filme (Anm.: »Á bras ouverts« - »Hereinspaziert!«), die ganz unverhohlen antiziganistische Ressentiments schüren …

... das gab es vor Kurzem auch in Deutschland. »Nellys Abenteuer« war ein staatlich geförderter Kinderfilm, der für den KiKa produziert wurde, in dem ganz klar Roma-Stereotypen und Rassismus gegen Roma und Sinti reproduziert wurden. Daraufhin hat sich der Zentralrat der Roma und Sinti eingeschaltet und das kritisiert. Es gibt sogar zwei wissenschaftliche Gutachten, die zu dem Schluss gekommen sind, dass das ganz klar rassistisch ist, was dort gezeigt wird. Trotzdem sind die Macher nicht auf den Appell eingegangen. Da fragt man sich dann schon, was das Ganze soll. Wir betreiben mühsam Aufklärung, Empowerment und Beratung und gleichzeitig zweifelt man unsere Meinung an, wenn wir sagen, dass wir uns durch so etwas enorm diskriminiert fühlen.

Ist das Dummheit?

Das sind mehrere Dinge. Zum einen Ignoranz und Verharmlosung. Aber auch eine grundsätzliche »Ich lasse mir nicht sagen, was ich mache«-Haltung. Wir sehen das zum Beispiel bei Produkten mit dem Z-Wort. Das sind irgendwelche Produkte, die erst mal nichts mit uns zu tun haben und zweitens diesen rassistischen Begriff verwenden. Trotzdem sehen Märkte und Hersteller es nicht ein, das zurückzuziehen.

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