Kalkulierte Symbolpolitik

EU-Gipfel ohne Wendepunkte bei Brexit, Türkei-Beitritt und Spanienkrise

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zum Brexit sage ich nichts, denn es gibt nichts zu sagen.« Trocken, wie es manchmal seine Art ist, hakte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kurzerhand das Thema ab, das die meisten Beobachter als das zentrale des ganzen EU-Gipfels vom Donnerstag und Freitag in Brüssel gesehen hatten. Doch im Grunde hatte Juncker Recht. Neu war höchstens, dass sich die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten am Freitag erste Gedanken gemacht haben, wie sie die sogenannte Phase zwei der Gespräche führen wollen. Also alles, was die künftigen Wirtschaftsverhältnisse zwischen der EU und Großbritannien regeln soll. Die britische Premierministerin Theresa May hatte die Kollegen darum gebeten, und am liebsten hätte May auch sofort schon mit diesen Gesprächen begonnen. Doch die EU bleibt hart: Erst die Regelung der finanziellen Fragen, dann der Rest. Bei den Finanzen hakt es weiter. Deshalb auch noch keine Gespräche über die Wirtschaft. Vielleicht im Dezember, sollten die Briten dann die finanziellen Fragen mit der EU geklärt haben. Wonach es derzeit nicht aussieht. Die Brexit-Verhandlungen stecken in einer Sackgasse.

Gespräche über die Türkei hatte Deutschland kurzerhand auf die Tagesordnung gesetzt. »Aus Sorge um die Lage der Menschenrechte, die absolut unbefriedigend ist«, wie Angela Merkel am frühen Freitagmorgen auf einer Pressekonferenz sagte. Merkel wollte der Türkei deshalb Geld kürzen, die sogenannten Vorbeitrittshilfen. Also jenes Geld, das die EU der Türkei in Hinsicht auf den möglichen EU-Beitritt zahlt. Rund 4,4 Milliarden Euro zwischen 2014 und 2020 sollen das sein. Aber nicht alle Mitgliedstaaten waren damit einverstanden. Deshalb soll jetzt erst die EU-Kommission prüfen, in wieweit das Geld überhaupt gekürzt oder umgeschichtet werden kann. Zum Beispiel als Hilfen für zivilgesellschaftliche Projekte in der Türkei. Einen Termin, bis wann die Kommission die Vorschläge vorlegen soll, gibt es nicht. Weshalb das Ganze vielleicht eher als kalkulierte Symbolpolitik Richtung Ankara zu verstehen ist. Denn Merkel sagte auch, dass es falsch wäre, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einfach abzublasen. Man dürfe nicht nur über die Türkei, sondern müsse auch mit der Türkei sprechen. Geld könnte ein dafür ein gutes Thema sein.

Für die Leistungen, die die Türkei im Rahmen des Flüchtlingspakts leistet, erntete der Partner dagegen viel Lob. Die drei Milliarden Euro, die der Türkei für diese Arbeit noch versprochen sind, stehen deshalb auch nicht zur Debatte.

Überhaupt sahen sich die Gipfelteilnehmer bei der Migrationspolitik auf einem guten Weg. Die Zuwanderung sei abgeschwächt, die Migrationswege würde mehr oder weniger gut kontrolliert, die Arbeiten zur Reform des Asylsystems kämen voran. Ebenso die Pläne zu einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie. Man sei da mittlerweile schon so weit, dass der Rat der Verteidigungsminister im Juni erste konkrete Vorschläge machen könnte, freute sich Merkel.

Die auf dem Gipfel nicht mit Fragen zum Konflikt in Spanien bedrängt wurde, weil sie dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy schon zuvor volle Unterstützung ausgesprochen hatte. Der belgische Premierminister Charles Michel hatte das nicht getan, obwohl er erst am Samstag in einem Zeitungsinterview seine Kritik an der Polizeigewalt in Katalonien wiederholt und erneut zum Dialog aufgerufen hatte. Rajoy muss darüber so verärgert gewesen sein, dass er damit gedroht haben soll, die spanische Unterstützung für die Belgierin Catherine De Bolle für das Amt der Europol-Chefin zurückziehen. So berichteten es belgische Zeitungen. Michel versuchte, alles herunterzuspielen. Es gebe keinen Konflikt mit Spanien, auch keinen Druck. Die Botschafter beider Länder stünden in ständigem Kontakt. An der Haltung der EU, sich nicht in den Konflikt »einzumischen«, weil das alles ja eine innerspanische Angelegenheit sei, änderte der Gipfel auch nichts. »Es gibt keinen Grund für ein europäisches Eingreifen«, sagte Ratspräsident Donald Tusk.

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