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Brot vom Restetisch

Bayern: Die Schauspielerin Bettina Kenter-Götte hat ihr Leben mit Hartz IV im reichen München aufgeschrieben

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

An Büchern zu Hartz IV gibt es keinen Mangel: Wissenschaftliche Studien, kritische Abrechnungen, Ratgeber für Betroffene. Es gibt sogar ein eigenes Genre der Hartz-IV-Kochbücher, die den Armen zeigen, wie man günstig kochen kann. Selten hingegen sind Berichte aus dem Innern von Hartz IV, von Menschen, die davon betroffen sind. In diese Lücke stößt das Buch von Bettina Kenter-Götte. »Heart’s Fear« - also des Herzens Furcht - nennt sie mit einem Sprachspiel ihre »Geschichten von Armut und Ausgrenzung«.

Es gehört zum strukturellen Charakter von Armut, dass die Armen zwar von anderen als Objekt begutachtet, erforscht, dokumentiert und sanktioniert werden, dass zu ihrem öffentlichen Subjektwerden aber alle Voraussetzungen fehlen. Armut ist auf die Dauer deprimierend, kann ängstlich und einsam machen. All die frechen »Florida-Rolfs«, die »golfenden« Hartz-IV-Empfänger und sonstigen »Sozialabzocker« aus dem Fantasiereich der Boulevardzeitungen sind ja nur Zerrbilder einer Wirklichkeit, die etwa Sanktionen wie den völligen Entzug von Leistungen durch das Jobcenter kennt. »Wer nicht betroffen ist, hat keinen Zugang zu dieser Schreckenskammer der Gesellschaft - und wer dort ist, verliert die Sprache«, schreibt Kenter-Götte über die Sprachlosigkeit der Armut.

Ihre eigene Geschichte ist die von beruflichen Erfolgen, dem Leben als alleinerziehende Mutter, von unsicheren Arbeitsverhältnissen und schließlich von Hartz IV. 1951 geboren und aufgewachsen in einer Theaterfamilie, in der Maximilian Schell und Inge Meysel ein- und ausgingen, debütierte sie 1970 am Theater. Es folgten Gastspiele in Italien und gar eine Fernsehserie in Australien. Nichts deutete auf ein prekäres Leben hin.

Doch 1981 bekommt die Schauspielerin eine Tochter und ist als alleinerziehende Mutter auf Sozialhilfe angewiesen. Es ist noch die »alte« Sozialhilfe, aber auch das Leben damit war kein Zuckerschlecken.

»Die Luft ist grau von kaltem Rauch«, schreibt die Autorin über das Sozialamt München-Mitte. »Und grau sind die Gesichter der Menschen, die hier auch warten. Man sieht, sie haben schon bessere Tage gesehen. Meine Augen brennen; ich habe schon bessere Tage gesehen.« Das Leben geht weiter, und Bettina Kenter-Götte erkämpft sich als Mutter ein neues Berufsfeld als Synchronsprecherin, spielt auch wieder Theater, das geht 25 Jahre gut. Dann wird sie krank und kann nicht mehr arbeiten. Nach zwei Jahren sind die Ersparnisse aufgebraucht und sie findet sich als Hartz-IV-Aufstockerin und bei der Tafel wieder. Die Autorin beschreibt, was das Leben auf Hartz IV an Ausgrenzungen mit sich bringt, etwa beim Treffen mit Freundinnen im Restaurant: »Ab und zu, während sie essen und plaudern, sieht eine mit einem kurzen Seitenblick auf dich und deine Tasse. Du hältst die Tasse, als wolltest du deine Finger wärmen, als gäbe es nichts Gemütlicheres, als eine halbleere Tasse mit zerfallenen Schaumresten zwischen den Handflächen zu drehen.«

Über ihre Erfahrung bei der Tafel - »Restetische für die Armen« - schreibt sie: »Und wie nett dann all die ehrenamtlichen HelferInnen auch zu dir sein mögen, mit dem Abstempeln des Tafelausweises wirst auch du abgestempelt; abgestempelt als unten. Nicht ganz unten: Unter dir, also wirklich ganz unten, gibt es noch die Obdachlosen; doch die bislang undenkbare Obdachlosigkeit rückt jetzt so nah, dass dich friert.«

»Es ist meine Pflicht als Bürgerin, den Mund aufzumachen«, beschreibt Bettina Kenter-Götte, warum sie ihre Erlebnisse zu einem Buch verarbeitet hat. Sie fordert ein öffentliches Outing der »Armutsgeschändeten«, damit sichtbar werde, wie viele davon betroffen sind. Arme, das seien heute die am meisten diskriminierte Gruppe - und darin viele Frauen, Alleinerziehende, Künstler. Auch wenn man jahrelang erfolgreich gearbeitet hat. Von Hartz IV sagt sie: »Das einzig Erfolgreiche daran war die mediale Kampagne.« Ihr Fazit: »Es hat weh getan, Brot und Radieschen vom Restetisch holen zu müssen; es war demütigend, mich nicht mehr frei bewegen zu können, und es hat einsam gemacht, nicht einmal mehr an den kollektiven saisonalen Rhythmen und Bräuchen teilhaben zu dürfen.«

Schreiben konnte Bettina Kenter-Götte ihr Buch auch vielleicht deshalb, weil es für sie selbst ein Happy End gab. Seit 2015 ist sie verheiraet und bezieht heute Rente.

Bettina Kenter-Götte: »Heart’s Fear. Hartz IV - Geschichten von Armut und Ausgrenzung«. Verlag Neuer Weg, Essen 2018. 181 Seiten, 12 Euro.

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