Bundeswehr auf dem Bierdeckel

Ursula von der Leyens scheinbare strategische Beerdigung von Peter Struck

  • Lesedauer: 5 Min.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will, so wurde es vor Tagen vermeldet, eine grundlegende Neuausrichtung und einen damit verbundenen Umbau der Bundeswehr einleiten. Das sei der Inhalt der neuen »Konzeption der Bundeswehr«.

Der Entwurf dazu wurde am 20. April dem Verteidigungsausschuss und dem Haushaltsausschuss des Bundestages zur Kenntnisnahme - nicht zur Beratung - übermittelt. Im Begleitschreiben des für solche Weiterleitungen zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärs, Peter Tauber (CDU), liest man: »Als wesentliche Neuerung in der Konzeption (…) ist die Gleichrangigkeit und Gleichzeitigkeit aller Aufgaben der Bundeswehr hervorzuheben.« Damit werde die bislang gültige Priorisierung der Einsätze und Missionen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements zulasten der Landes- und Bündnisverteidigung beendet. Die Konzeption, so Tauber weiter, definiert die »Landes- und Bündnisverteidigung als die anspruchsvollste Aufgabe mit dem höchsten Nachholbedarf«.

Bedeutet das, Deutschland wird nicht mehr an vorgeschobenen Fronten irgendwo in der Welt verteidigt? Das soll einer der Vorgänger von der Leyens, der Sozialdemokrat Peter Struck, behauptet haben. Unter seiner Führung bekam die Bundeswehr im Mai 2003 neue Verteidigungspolitische Richtlinien. Eine Kernaussage hatte Struck bereits Ende 2002 erläutert: »Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.« Das »auch« war eine Hintertür, doch klar war: Die Landesverteidigung stand für die Bundeswehr »nicht mehr an der ersten Stelle«. Die damals überraschend zur Grünen-Chefin gewählte Angelika Beer nannte das einen »überfälligen Schritt«, denn: »Jeder weiß, dass die Landesverteidigung auf absehbare Zeit keine Rolle mehr spielt.« Jetzt müssten noch die Wehrpflicht abgeschafft und Bundeswehrstandorte geschlossen werden, forderte sie. Das Ende des gerade militärisch brisanten Ost-West-Konfliktes ließ friedlichere Zeiten für Europa erwarten.

Nun aber wird die Landes- und Bündnisverteidigung wieder als die »anspruchsvollste Aufgabe mit dem höchsten Nachholbedarf« definiert. Das ist weder neu noch ist es überraschend. In dem schon im 2016 in Auftrag gegebenen »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« betonte von der Leyen die »Notwendigkeiten einer verstärkten Landes- und Bündnisverteidigung« und verband das unmittelbar mit der Forderung nach »bestem Material« und »nachhaltiger Finanzierung«. Im Vorwort der Kanzlerin hieß es: »Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wir die Errungenschaften der europäischen Nachkriegsordnung nicht für selbstverständlich halten dürfen.« Angela Merkel schrieb weiter: »Dass Grenzen völkerrechtswidrig mit militärischer Gewalt verschoben werden, hatten wir im Europa des 21. Jahrhunderts nicht mehr für möglich gehalten. Direkt vor unserer europäischen Haustür wüten Kriege und Konflikte, die bereits Hunderttausende Menschen das Leben gekostet und Millionen entwurzelt haben.«

Wer also jetzt im Bundestag behauptet, von der Leyen presche mit ihrer Konzeption vor und schließe das Parlament von einer Debatte darüber aus, muss in den vergangenen Jahren vorsätzlich gepennt haben. Auch hat die Bundeswehrführung nie ein Hehl daraus gemacht, dass die Rückbesinnung auf die im Grundgesetz vorgeschriebenen »Streitkräfte zur Verteidigung« mit umfangreichen und kostenintensiven Umbauten verbunden sind. Nicht unbekannt ist auch, dass sowohl die Union wie die SPD sich der NATO-Selbstverpflichtung unterworfen haben, dass auch Deutschland bis 2024 die Militärausgaben in Richtung zwei Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung anhebt.

Umso notwendiger wäre eine intensive und nicht nur parlamentarische Debatte darüber, was Verteidigung eigentlich bedeutet und wie weit Bündnisverpflichtungen in NATO und EU reichen. Vermutlich aber kommt diese zu spät, denn die Weichen sind längst gestellt. Beispiel Heer. Die Teilstreitkraft ist mit gut 63 000 Soldatinnen und Soldaten die größte und schlagkräftigste Truppe innerhalb der Bundeswehr. Sie stellt rund 40 Prozent des Personals für 15 Auslandseinsätze. Die schlagen naturgemäß immer wieder Lücken in bestehende Strukturen. Einheiten und Personal werden herausgelöst, Technik zusammengezogen und ins Ausland verschickt. Führung und Ausbildung leiden, ganz zu schweigen von Engpässen bei Material und Ersatzteilen. Kurzum, die Lage im Heer ist so kompliziert und bisweilen undurchschaubar wie eine Steuererklärung.

Doch während der CDU-Politiker Friedrich Merz einst nur getönt hat, er könne die Steuererklärung so vereinfachen, dass sie auf einen Bierdeckel passe, hat Heeresinspekteur Generalleutnant Jörg Vollmer die Idee umgesetzt. Auf 92x92 Millimeter graue Pappe zeichnete er die geplante Entwicklung des Heeres und damit den strategischen Aufwuchs von drei vollständig einsatzbereiten Divisionen bis ins Jahr 2032. Über die die NATO Zug um Zug selbstverständlich verfügen kann.

Personell scheint man zuversichtlich zu sein beim Heereskommando in Strausberg. »Die Achillesferse ist die materielle Ausstattung«, betont Vollmer. Der erste Knackpunkt seines Planes ist Very High Readiness Joint Task Force (VJTF). Diese Speerspitze ist Teil des Readiness Action Plans für eine erhöhte Einsatzbereitschaft, der beim NATO-Treffen 2014 beschlossen wurde. Um Russland zu beeindrucken, stellen die Bündnismitglieder auf Rotationsbasis Truppen zur Verfügung. Die Bundeswehr wird 2019 wieder eine führende Rolle in der VJTF übernehmen. Da wird es noch knirschen beim Material, hört man. Doch beim nächsten deutschen Einsatz der höchsten Bereitschaft, also 2023, wird die erforderliche Brigade komplett ausgestattet sein. Daraus erwächst bis 2027 eine ebenfalls vollständig ausgerüstete Heeresdivision.

Die beiden anderen 2032 komplett gefechtsbereiten Divisionen werden parallel dazu aufgerüstet. Unter anderem über die Bildung von sogenannten Test- und Versuchskräften. Dabei handelt es sich jeweils um ein Bataillon, das verfügbare Waffensysteme im Verbund testen und dazu die besten Einsatztaktiken entwickeln soll. »Was sich bewährt, wird gekauft, was nichts taugt, brauchen wir nicht«, sagt Vollmer selbstbewusst. Woher das Geld dafür kommt, ist dem General egal. Da vertraut er ganz auf die Ministerin.

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