Sind unsere Kinder noch sicher?

Okay – jetzt können wir es nicht mehr leugnen: So hoch wie heute war die Kriminalität schon lange nicht mehr. Wir sind einfach nicht mehr sicher. Danke, Merkel!

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine hoffnungsvolle Entwicklung, dass der öffentliche Diskurs jetzt endlich mal die innere Sicherheit zum Thema macht. Ja, die Kriminalität hat zugenommen - und zwar spürbar. Es hat sich was in unserem Land verändert – und das nicht zum Besten. All die Beteuerungen der Kanzlerin, wenn sie alle vier Jahre meinte, sie würde Schaden vom deutschen Volke abwenden: nur so »dahinbeeidet«. Trotzdem lässt man es weiter zu, hat den Kriminellen Tür und Tor geöffnet. Das Bundeskriminalamt (BKA) nannte über 74.000 Fälle, was ein Wachstum von 28 Prozent zum Vorjahr bedeute. Die Zahlen sprechen für sich: Unsere Kinder sind nicht mehr sicher. Wir übrigens auch nicht. Wirtschaftskriminelle verjuxen den erarbeiteten Wohlstand.

Ach so, Sie meinten, ich spreche von Flüchtlingen? Tue ich doch, ich meine nur eine andere Sorte Flüchtiger. Diejenigen nämlich, die sich aus dem Anstand geflüchtet haben, die das Gesetz hinter sich ließen und die vor Ermittlungsbeamten türmen. Letzteres wahrscheinlich viel zu selten: Polizei und Zoll sind unterbesetzt, sodass man annehmen muss, dass die vom BKA genannten Zahlen nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit darstellen. Dazu kommen noch ziemlich viele Vorfälle, die gar nicht justiziabel sind, weil die Grenzen zwischen aggressiver Lobbyarbeit und Wirtschaftskriminalität als fließend gelten.

Nehmen wir nur mal die Programme, die den rechtlichen Rahmen für den Drehtüreffekt festlegen. Das heißt, die es als große Chance verkaufen, wenn Vertreter von Konzernen sich einen gemütlichen Schreibtisch in einem Ministerium einrichten. Wir reden hier immerhin von legaler Beeinflussung und Vorteilnahme - aber wirtschaftskriminell ist es ja nicht, denn Kriminalität setzt ja voraus, dass man gegen ein Gesetz verstößt. Fast die ganze Geschäftspraxis der Multibanken, die unter einem Dach verschiedene Finanzdienstleistungen anbieten, selbst solche, die sich nüchtern betrachtet entgegenstehen, wäre noch in den Achtzigerjahren als wirtschaftskriminelle Vereinigung durchgegangen – heute ist ein solches Portfolio nicht zu beanstanden.

Man kann ja nachvollziehen, wenn sich viele Menschen in diesem Land fragen, ob wir noch sicher sind. Es passiert viel – und natürlich sind auch Flüchtlinge und Ausländer beteiligt. Überproportional mehr Kriminelle findet man in diesen Personengruppen erfahrungsgemäß nicht. Das Thema wird nur lauter forciert. Viele kriminelle Handlungen sind aber einfach auch nur Produkt der Sparpolitik im Lande. Es fehlt an Polizei- und Ordnungsbeamten – das Wegrationalisieren dieser Berufsgruppen könnte man also auch als Form von Wirtschaftskriminalität bezeichnen.

Was aber schwer nachvollziehbar ist: Wo bleibt diese massenhafte Empörung eigentlich, wenn man von den vielen Wirtschaftskriminellen im Lande erfährt? Bei Flüchtlingskriminalität gilt es als ausgemacht, dass sie eine Gefahr für unsere Kinder ist. Nur bei den Mauscheleien und Hinterzimmerdeals, da zuckt man mit den Achseln. Dabei schadet diese Praxis nicht minder unseren Kindern. Ihnen übergeben wir einen Staat, in dem es offenbar nicht mehr ganz so sauber läuft. Generationengerechtigkeit ist ja stets Thema, wenn es um die Rente geht, dabei wäre dieses Schlagwort mal in einer Debatte um Wirtschaftskriminalität angebracht. Denn wir sind dabei, der nächsten Generation ein von rechtsstaatlichen Aspekten abgewickeltes Gemeinwesen zu überlassen.

Und natürlich richten wirtschaftskriminelle Täter auch Schaden in der Gegenwart an. Man bringt Bürger um Ersparnisse oder man sozialisiert die Schäden, die dadurch entstehen, durch höhere Beitragszahlungen zum Beispiel. 3,74 Milliarden Euro Schaden hat das BKA für 2017 errechnet. Das sind ungefähr 47 Euro pro Bundesbürger. Da muss eine osteuropäische Bettelorganisation aber ordentlich den Hut aufhalten, bis sie solche Kennzahlen erreicht.

Natürlich ist es ein bisschen populistisch, die beiden Themenfelder zu vergleichen. Es gibt in der Bundesrepublik ja mehrere Sorgenfelder, die gleichermaßen Berechtigung auf Thematisierung haben. So möchte dieser kurze Text verstanden sein: Ja, es gibt Taschendiebe, die die Freizügigkeit in Europa nutzen – aber es gibt auch Wirtschaftskriminelle, die einen finanziell viel größeren Schaden verursachen. Auch sie nutzen die Freizügigkeit für sich. Ihre Freiheit entsteht durch einen Mangel an Geldern bei der inneren Sicherheit und bei Steuerfahndern. Und bricht bei letzterer Gruppe jemand in Aktionismus aus, will Gesetzesverschärfungen oder mehr Geld? Na eben: bloß großes Schweigen. Die Austerität läuft. Danke, Merkel!

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