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Basisdemokratie bremst die radikalen Kräfte

Das anarchistische Kollektiv »Crimethinc« aus den USA kritisiert die Protestbewegungen und Platzbesetzungen der vergangenen Jahre

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit über 20 Jahren publiziert das Crimethinc-Kollektiv Texte zu Anarchismus und linksradikaler Bewegungspolitik. Das vor allem aus Portland stammende anonyme Kollektiv mischt sich auch gerne in aktuelle Debatten ein, etwa in Form offener Briefe an die Occupy-Bewegung 2011 oder an den Schwarzen Block in Ägypten 2013 - und unlängst mit einer ausführlichen Analyse der Ereignisse in Hamburg während des G20-Gipfels, die auch im Sammelband »Riot - was war da los in Hamburg?« (Laika-Verlag) nachzulesen ist.

Mit dem gerade auf Deutsch erschienenen Buch »From Democracy to Freedom« formuliert das Autoren-Kollektiv seine Kritik an den globalen Protestbewegungen und Platzbesetzungen von 2011 und daraus resultierenden politischen Entwicklungen.

Das Misstrauen der anarchistischen Graswurzel-Aktivisten gegenüber parlamentarischen Parteien wie Syriza, Podemos und den aus Bewegungspolitik hervorgegangenen Wahllisten, die bei den Kommunalwahlen in Spanien so erfolgreich waren, überrascht natürlich nicht. Aber Crimethinc formuliert auch eine eindeutige Kritik an den basisdemokratischen Praktiken der Bewegungen wie Occupy, an der spanischen M15, der Syntagmaplatzbesetzung in Griechenland 2011 sowie den Protesten in Slowenien 2012 und in Bosnien 2014.

Denn direkte Demokratie, die häufig als zentrale politische Praxis der radikalen Linken missverstanden werde, so Crimethinc, sei aus anarchistischer Sicht keineswegs per se emanzipatorisch - und führe vielmehr zwangsläufig dazu, die Fehler repräsentativer Demokratie im Kleinen zu reproduzieren, inklusive der damit einhergehenden Ausschlussmechanismen. Ein wiederkehrender Vorwurf ist auch, dass die Platzbesetzungen oft erst auf Drängen der radikaleren Kräfte und der Anarchisten zustande kamen, wobei deren Positionen dann hinterher auf Versammlungen ausgebremst wurden.

Wie das praktisch aussieht, erklärt ein anarchistischer Aktivist aus Barcelona in einem flott geschriebenen, fast reportageartigen Text über die M15-Bewegung. »Sobald die Zahl der Teilnehmenden von Hunderten auf Tausende angestiegen war, begannen Kommissionen und Subkommissionen wie Pilze aus dem Boden zu schießen«, heißt es da. Verbände oder verbandsartige Strukturen wie »Real Democracia Ya« hätten dann regelmäßig die Generalversammlungen instrumentalisiert, um radikale Positionen zu blockieren.

Da konnte auch ungemein kontrovers darum gestritten werden, ob während einer Demonstration ein Graffito gesprüht werden darf oder ob das bereits gegen die Vereinbarung verstößt, gewaltfrei zu bleiben. Die Generalversammlung, so der anarchistische Vorwurf, wäre dann regelmäßig der Ort gewesen, an dem Anträge in Unterkommissionen abgedrängt wurden, wo sie stecken blieben. Neben dem Text aus Spanien kommen auch Aktivisten aus Athen, New York, Oakland, Ljubljana und Sarajevo zu Wort, wodurch der Band ein Panorama der unterschiedlichen Proteste zwischen 2011 und 2014 auffächert.

Neben politischen Analysen bietet der reich bebilderte Band auch Einblicke in das soziale Funktionieren der Protestcamps. Nicht selten traten dort Spannungen auf, weil sehr unterschiedliche Aktivisten aufeinandertrafen. Nicht alle wohnten auf dem Platz, viele kamen nur zu den Generalversammlungen, um zu diskutieren, während für andere die soziale Zusammensetzung auf dem Platz das wichtigste Element war.

»Aus dem Blickwinkel derer, die im Camp lebten, tauchten die bürgerlich-liberalen Aktivisten alle paar Tage für ein oder zwei Stunden auf und erwarteten, den Menschen, die jeden Tag vierundzwanzig Stunden lang im Camp waren, Entscheidungen vorschreiben zu können. Normalerweise blieben sie nicht einmal lang genug, um sie umzusetzen«, schreibt ein Occupy-Aktivist. In Oakland, dem einzigen Protestcamp in den USA, wo die Anarchisten in der Überzahl waren, wurde immer wieder betont, dass die Küche als Ort des sozialen Austauschs ebenso wichtig war wie die Generalversammlung als Ort der politischen Auseinandersetzung.

»From Freedom to Democracy« schlägt in seinen Texten einen weiten Bogen und zeigt recht anschaulich, welche Rolle Anarchisten in den globalen Protest-Bewegungen zu Beginn dieses Jahrzehnts spielten und mit welchen politischen Kräfteverhältnissen innerhalb der Bewegungen sie zu kämpfen hatten.

Crimethinc: »From Democracy to Freedom«, Unrast-Verlag, 200 S., 13 €, erscheint im August.

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