Mit Schrotflinte oder Skalpell?

Der Gaterslebener Getreideforscher Goetz Hensel über die Regulierung der Pflanzengentechnik

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 8 Min.

Viele Wissenschaftler kritisierten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach Pflanzen, die mithilfe der neuen Methoden des Gen-Editing gezüchtet wurden, unter die Gentechnik-Richtlinie der EU fallen. Warum? CRISPR-Cas und TALEN sind doch Gentechnikverfahren, oder?

Ich denke, hier wird in der Berichterstattung nicht genug differenziert. Die Kollegen sind nicht damit unzufrieden, dass ihr Verfahren wie die Mutagenese mit Strahlen oder Chemikalien als Gentechnik bewertet wird. Sie verstehen nur nicht, warum diese in der Richtlinie von 2001 eindeutig als Gentechnik eingestuften alten Verfahren von der Regulierung ausgenommen werden, aber das neue Verfahren nicht. Schließlich sind die alten Verfahren viel ungenauer.Natürlich kann eine Richtlinie von 2001 nicht über die Sicherheit einer Technologie von 2012 befinden. Deshalb müsste die Gesetzgebung eine regelmäßige Überprüfung ihrer Aktualität einschließen. Die Richter haben es sich sehr einfach gemacht, obwohl sie sicherlich den Handlungsspielraum gehabt hätten, jene Pflanzen, die nur eine einfache Modifikation tragen, wie sie auch natürlich möglich ist, von der Regulierung auszunehmen, wie die anderen Mutanten auch.

Heißt das, mit Gen-Editing werden wie bei der alten Mutationszüchtung nur Einzelgene verändert?

Eben nicht. Gen-Editing verändert gezielt einzelne Gene, doch was bei den alten Schrotflintenmethoden der Mutagenese neben der gewünschten Veränderung noch an Hintergrundmutationen zustande kommt, ist unbekannt. Insofern ist unverständlich, was an den neuen Züchtungsverfahren gefährlicher sein soll. Etwas anderes ist es, wenn ich die neue Technologie dafür nutze, ein Fremdgen einzubringen. Dann ist das ganz klar Gentechnik, die ein Zulassungsverfahren nach dem existierenden Gentechnikrecht braucht. Dieser Punkt ist unstrittig, wird aber - bewusst oder unbewusst - häufig nicht herausgestellt.

Wenn Sie sagen, Gen-Editing sei viel genauer, hieße das im Umkehrschluss nicht, die per Zufallsmutationen gezüchteten Pflanzen wären unsicherer?

Nein, 100 Pozent sicher sind sie beide nicht. Es wird ja oftmals vergessen, dass auch diese mit alten Mutageneseverfahren gezüchteten Pflanzen in der Richtlinie als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft werden. Das sind über 3000 Pflanzensorten weltweit. Vieles davon haben wir in unseren Einkaufswagen. Es steht eben nur nicht drauf: »gentechnisch verändert«. Eine kürzliche Untersuchung in den USA zeigte, dass die Akzeptanz der Konsumenten im Bundesstaat Vermont, wo Gentechnik gekennzeichnet werden muss, höher ist als in den anderen Bundesstaaten, wo es keine Kennzeichnung gibt. Wenn die Bevölkerung wirklich wüsste, in wie vielen ihrer täglichen Produkte sie mit gentechnisch veränderten Organismen oder deren Produkten zu tun hat, gäbe es die Verteufelung wohl nicht. Was ich beim Tag der offenen Tür im Institut und bei ähnlichen Veranstaltungen erlebe, wenn ich mit den Leuten darüber rede, was wir tun und warum, fragen die sich oft, was so schlimm daran sein soll. In den Zeitungen und im Fernsehen stellt sich das leider oft ganz anders dar.

Sie betonen die Treffsicherheit des Gen-Editing. Nun haben Studien gezeigt, dass auch CRISPR-Cas Mutationen erzeugen kann, die nicht nur an der beabsichtigten Stelle stattfinden. Wenn die aufwendige Gentechnik-Prüfung wegfiele, wie könnte dann die Sicherheit neuer Sorten geprüft werden?

Ausgangspunkt für diese Technologie sind ja relativ kurze DNA-Abschnitte, die als Navigator dienen. In einem großen Pflanzengenom, wie zum Beispiel bei Getreide, können diese in leicht abgewandelter Form mehrfach vorkommen. Ich kann durch die Wahl der kurzen Stücke sehr genau definieren, ob ich noch andere Stellen im Genom ansteuere oder nicht. Das kann ich am Computer planen. Anhand der bekannten Sequenz kann ich später nach solchen sogenannten Off-Target-Effekten suchen. Das ist mit relativ wenig Aufwand möglich. Zudem kann man alle unbeabsichtigt veränderten Pflanzen, die sichtbar anders sind, schon im Gewächshaus aussortieren.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass solche von niemandem beabsichtigten Mutationen auch in der Natur ständig zustande kommen. Solange die keinen negativen Effekt auf das Pflanzenwachstum haben, merken wir davon nichts. Pro Pflanze sind das 150 bis 200 natürliche Mutationen. Wie wollen wir da nachweisen, ob eine unbeabsichtigte Veränderung durch Sonneneinstrahlung, den Standort der Pflanze oder mein CRISPR-Cas-System entstanden ist? Hier geht es erst mal nur um die Entwicklung einer neuen Pflanzensorte. Die muss in jedem Falle erst noch als Sorte zugelassen werden. Diese Sortenprüfung schließt einen mehrjährigen Anbau an mehreren Standorten ein. Diese Sortenprüfung ist obligatorisch, egal wie die Pflanzen gezüchtet worden sind.

Was genau passiert bei der Sortenprüfung?

Laut Definition muss eine Sorte neu, unterscheidbar, homogen und beständig sein. Es wird also geprüft, ob die neue Sorte bei Schädlingsresistenz, Ernteertrag oder wesentlichen Inhaltsstoffen besser ist als bisherige Sorten. Bei der bisherigen Gentechnik gab es neben der Genveränderung selbst noch zwei andere Kritikpunkte.

Die fremden Gene kamen mit einem Vehikel - meist Bakterien oder Viren - in die Pflanze und es wurden sogenannte Markergene eingebaut. Wie läuft das bei CRISPR-Cas?

Da gibt es unterschiedlichste Methoden. Es geht natürlich wie bisher mithilfe von Agrobakterien. Da wird die DNA erst mal in das Zielgenom integriert, die gewünschte Modifikation erzeugt und anschließend kann man jene Nachkommen selektieren, die das als Werkzeug eingeführte Gen nicht mehr tragen. Das wäre ein Weg. Man kann aber auch das Protein (die Genschere) und die RNA, mit der die Schnittstelle identifiziert wird, schon im Reagenzglas zusammenmischen. Mit der Mischung kann man Goldpartikel beschichten und in die Pflanzenzelle schießen. Oder aber der fertig gemischte Genschere-RNA-Komplex kommt in ein geeignetes Lösungsmittel, sodass er durch die Poren der Pflanzenzelle aufgenommen wird. Ist der Komplex erstmal in der Zelle, wird er aktiv. Das einzige artfremde Genmaterial, das dabei vorkommt, ist der RNA-Schnipsel zur Erkennung der Schnittstelle. Da RNA nicht ins Genom integriert wird, entsteht kein transgener Organismus.

Und was ist mit den Markern, die bisher für die Erfolgskontrolle nötig waren?

Das System kann ohne Kontrollmarker genutzt werden. Wir müssen vielleicht eine größere Anzahl von Pflanzen untersuchen, ehe wir diejenigen finden, die die Mutation an der gewünschten Stelle haben. Aber dieser Aufwand ist gerechtfertigt, wenn man dafür die anderen Nachteile wie die umstrittenen Herbizid- oder Antibiotikaresistenzgene vermeidet.

Ein Streitpunkt bei der Grünen Gentechnik waren bisher die Patente. Auch für die Gen-Editing-Verfahren wurden Patente erteilt. Wird das nicht die kleineren Züchter behindern?

Da diese Lizenzgebühren unabhängig von der Größe der Unternehmen zu zahlen sind, wäre das aus meiner Sicht kein Nachteil. Ein einschneidender Nachteil für kleinere Saatgutunternehmen ist vielmehr die Regulierung der Zulassung als gentechnisch veränderter Organismus. Insofern begünstigt die Direktive in meinen Augen gerade die sonst so gescholtenen Monsanto, Bayer, Pioneer und Co. Nur die können sich diese Mehrkosten am Ende leisten. Die haben sicherlich im Stillen jubiliert, weil sie nun keine Konkurrenz durch kleine Züchter zu fürchten haben.Ohne das hätten kleine Firmen jetzt die Möglichkeit, sich wieder aktiv am Markt zu beteiligen, indem sie regionale Produkte entwickeln.

Um welche Beträge geht es da?

Ich habe da keine eigenen Erfahrungen. Leute, die das gemacht haben, haben von Kosten zwischen ein und zehn Millionen Euro durch die Regulierung gesprochen. Das können sich kleine Züchter nicht leisten. Dagegen liegen die Lizenzgebühren für das Verfahren im Bereich einiger 10 000 Dollar. Und die Methode an sich ist so einfach, dass auch jeder Züchter damit klar käme. Bei den Patenten macht sich auch ein zweischneidiger Trend bemerkbar. Universitäten und Institute ermuntern ihre Mitarbeiter, Erfindungen zu melden und für diese Schutzrechte anzumelden. Die Lizenzeinahmen fließen dann wieder zurück in die Wissenschaft. Wir werden die Technologie mit Sicherheit auch in Zukunft nutzen. Da wir allerdings als Institut auch etwas Praktisches für die Züchter und Landwirte entwickeln sollen, schränkt uns das Urteil stark ein. Denn wir werden vermutlich keine Freisetzungsversuche nach Gentechnikrecht mehr beantragen. Wir haben das einmal gemacht. Das Ergebnis war die Zerstörung des Versuchs durch die selbst ernannten Feldbefreier.

Sie forschen selbst mit diesen Verfahren an Pflanzen. An welchen?

Wir sind ein Forschungsinstitut, das sich den Nutzpflanzen verschrieben hat und da speziell dem Getreide, also Gerste, Weizen, Mais. Ich selbst arbeite hauptsächlich mit Gerste, aber auch mit Weizen. Da wurde ja in dieser Woche das komplette Genom mit den bisher bekannten Funktionen veröffentlicht. Die Kenntnis des Genoms, der Funktion der einzelnen Gene, ist die Grundvoraussetzung für gezielte Genomveränderung.

Würden Sie denn sagen, dass mit der aktuellen Rechtslage Europa raus ist aus dem Saatgutgeschäft?

Ich fürchte ja. Die Großen ziehen ihre Forschungsaktivitäten aus Europa ab, weil der Markt für sie hier gestorben ist. Auch für mich als Wissenschaftler sehe ich da ein Problem. Denn nach der aktuellen Rechtslage dürfte die Bundesregierung keine neuen Programme für eine Technologie auflegen, die in Europa keine Chance hat. Paradoxerweise hat die EU nahezu zeitgleich zum Urteil über Gentechnik dem US-Präsidenten Trump die Abnahme von noch größeren Mengen an Soja zugesichert. Und das ist in den USA alles Gen-Soja, wie das so schön genannt wird. Also ich kann es nicht nachvollziehen. Das wird über den Umweg Ausland auf jeden Fall nach Europa kommen, weil wir nach wie vor unsere Schnitzel für einen Euro kaufen wollen, und irgendwie müssen die Schweine ja gefüttert werden. Diesen Bedarf konnten wir schon lange nicht mehr im eigenen Land decken, und dann erhöhen wir eben die Importe. Doch fast alles (Soja, Mais, Raps, Zuckerrübe), was in den USA, Argentinien und Brasilien angebaut wird, ist heute Gentechnik und wird künftig auf der CRISPR-Cas-Technologie beruhen.

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