Mit frischem Atem durch die Nacht

Pfefferminzlikör war in der DDR ein beliebtes Getränk und erlebt in Berlin seit einigen Jahren eine Renaissance

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine steile Metall-Wendeltreppe führt in den Keller des Pfeffi-Berlin- Ladens in der Petersburger Straße in Friedrichshain. Dort gedeihen unter pinkem Licht knapp 20 verschiedene Minzsorten: Erdbeerminze, Ananasminze, Japanische oder Marokkanische Minze. Marcus Stolze streicht über die Pflanzen, holt die Gießkanne, »ich muss hier erstmal gießen«, sagt er und entfernt en passant ein paar welk gewordene Blätter.

Marcus Stolze ist Veranstaltungskaufmann, hat Technopartys organisiert und Events für die Autobranche. Drei Jahre hat er als Barleitung im Heimathafen gejobbt, später Sekt an Bars verkauft. Letztes Jahr dann hatte er die Idee, ins Pfeffi-Geschäft einzusteigen. Zusammen mit Philipp Wauer entwickelte er den »Pfeffi-Berlin«. Das Unternehmen Rotkäppchen-Mumm steht im Hintergrund. »Minze geht überall. Ich habe noch niemanden getroffen, der Minze nicht mag«, beschreibt Stolze seine Motivation. »Aber es war mir wichtig, ein hochwertiges und natürliches Produkt zu schaffen.«

Pfefferminzlikör erlebt momentan vor allem in Berliner Bars und den ostdeutschen Ländern - aber auch immer mehr in Westdeutschland - einen Boom. Gut 5,4 Millionen Flaschen setzte Marktführer Nordbrand von seinem traditionellen Pfefferminzlikör letztes Jahr deutschlandweit ab, rund 60 Prozent in Ostdeutschland und Berlin. In Westdeutschland verdoppelte die Firma den Absatz im letzten Jahr.

Die Destillerie Schilkin GmbH in Berlin-Kaulsdorf kommt mit ihrem Erfolgspfeffi »Berliner Luft« 2017 auf 2,6 Millionen Flaschen, gibt aber an, im ersten Halbjahr 2018 bereits nahezu so viel verkauft zu haben wie im gesamten Jahr 2017. Seit 2013 seien Steigerungsraten von über 50 Prozent keine Seltenheit, erklärt Vertriebsleiter Hans-Jörg Ullrich von Schilkin am Telefon. 2013 war die Firma fast pleite. »Mithilfe der ›Berliner Luft‹ haben wir uns quasi, wie einst Baron Münchhausen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können.« Mittlerweile gibt es die »Berliner Luft« auch mit Schokogeschmack und Glitzereffekt.

»Die Zahnbürste des Nachtlebens« nennt Marcus Stolze von Pfeffi-Berlin scherzhaft seinen Pfeffi und erklärt: »Es gibt halt Leute, die lieben es, nach dem Getränk einen frischen Atem zu haben. Außerdem wird der Gesundheitsaspekt auch bei Getränken immer wichtiger.« Stolze greift in ein Glas mit klein gemahlenen Kräutern, hält es unter die Nase, riecht daran. »Hm, echte Marokkanische Minze«, daneben Gläser mit Zitronenschalen und Sternanis - weitere Zutaten. »Nach dem Essen wird auch Clean Drinking immer wichtiger. Das schwappt aus den USA zu uns rüber. Wir machen unseren Pfeffi so natürlich wie möglich, ohne künstliche Aroma- und Farbstoffe.« Die beiden machen keinen Hehl daraus, dass sie gerne noch darüber hinaus gegangen wären: »Ich hätte gerne Bio gemacht, aber das wäre zu teuer geworden«, so Stolze.

Auch Schilkin wirbt mit ähnlichen Aspekten. »Unser Produkt ist vollständig vegan, selbst den Kleber für das Etikett haben wir diesbezüglich prüfen lassen«, so Ullrich von Schilkin. Auch sie würden nur natürliche Inhaltsstoffe verwenden, schon wegen der Lebensmittelkontrollen. Nicht natürlich sei allerdings die Verpackung, gibt er zu. »Die ist aus Glas und Metall.«

»Berliner Luft« von Schilkin ist Platzhirsch in Berlin. Im Späti am Schlesischen Tor steht die Flasche direkt neben Jägermeister. Frech und trendig gibt sich die Werbung mit der Dame mit grünen Haaren, roten Lippen und Nasenpiercing. Minzig und süß schmeckt das Getränk. »Im Vertrieb sind bei uns fast alle über 60 Jahre alt«, gibt Ullrich (64) zu, »aber im Marketing haben wir junge Leute.« Woher der Name »Berliner Luft« komme, wisse er aber nicht. »Wir haben noch Flaschen aus den 50er Jahren, wo Berliner Luft draufsteht.« Damals führte noch Sergej Schilkin das Unternehmen, bevor es von der DDR 1972 verstaatlicht wurde und Schilkin zum Betriebsdirektor im VEB Schilkin avancierte. Nach der Wende erhielt der Unternehmer den Betrieb zurück und er übernahm 75-jährig kurzzeitig die Leitung. Heute leitet Erlfried Baatz den Betrieb, der früher bei Oetker arbeitete, aber 2013 dort nach Meinungsverschiedenheiten ausschied.

»Ich möchte, dass Pfeffi der neue Jägermeister wird«, sagt Marcus Stolze, während er die grüne Effektbeleuchtung anschaltet und sich auf das Ecksofa im Hinterzimmer seines Ladens fallen lässt. Der Mutterkonzern lasse ihnen da freie Hand, »Rotkäppchen sagt, sie wollen ein cooles Produkt, die Zahlen seien nicht so wichtig. Wenn wir allerdings in drei Jahren immer noch nur ein paar Tausend Flaschen verkaufen, sind wir gescheitert.« Betrachtet man die Zahlen, ist es durchaus möglich, dass im Pfeffimarkt noch massig Luft nach oben ist, vor allem im Westen der Republik. Die Zielmarke hängt mit Jägermeister hingegen hoch: Rund 18 Millionen Flaschen verkaufte die Mast-Jägermeister SE letztes Jahr in Deutschland.

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