We have no Schickimicki

Fragen gibt es, auf die man besser eine klare Antwort bereithält. Denn diese Antwort kann Weichen stellen - oder zumindest eine Lebensphilosophie dokumentieren. Tee oder Kaffee? Still oder Sprudel? Schrippe oder Weckle? Das sind nur scheinbar Details.

Beim Imbiss meines Vertrauens werden solche Frage gestellt. Bestellt man dort eine Bockwurst, folgt unweigerlich die Frage: »Möchten Sie Besteck?« An dieser Stelle entscheidet sich einiges. Sagt man »Nein, wozu?«, hat man alles richtig gemacht und wird mit einem Lächeln sowie der Frage belohnt, ob es sonst noch etwas sein darf. Bejaht man aber, umwölkt sich die Stirn der Frau am Tresen, sie murmelt etwas, was man lieber nicht versteht, und reicht mit kühlem Blick Messer und Gabel herüber.

Auf die berechtigte Frage, wer denn um Himmels willen zum Verzehr einer Bockwurst Besteck braucht, wird die Frau beredsam. »Die Schwaben und Bayern«, sagt sie und zieht mit dem Arm einen weiten Kreis, »die hier überall wohnen.« Der Hinweis, dass es sich doch hier um eine Plattenbaugegend handele und nicht um den Prenzlauer Berg, verursacht eine weitere Bekundung des Unwillens. »Was glauben Sie,wo die schon überall sind.«

Nun mag man sich darüber wundern, wie offen die resolute Frau gegenüber einem Kunden spricht, denn wenn sie von »denen« spricht, schließt sie mich doch in ein »wir« ein, obwohl sie mich doch gar nicht kennt. Was wäre, wenn ich aus Schwaben stammte? Aber nein, ihr untrüglicher Instinkt muss den Ostdeutschen in mir erkannt haben, was offenbar Anlass genug ist für ein verständiges Übereinkommen, und wenn es sich nur darauf gründet, dass ich für die Bockwurst keine technischen Hilfsmittel benötige.

Ein andermal fragte jemand nach einer veganen Speise. Man spürt in solchen Momenten sofort eine emotionale Anspannung bei der Frau am Tresen; ist sie nicht allein im Laden, dann überlässt sie die Bedienung ihrem Kollegen, zieht sich in den Küchentrakt zurück und schimpft dort vor sich hin, diese Leute sollten doch gefälligst zum Kollwitzplatz fahren, wenn sie unbedingt vegan essen wollen. Wobei es, wenn sie das Wort »vegan« ausspricht, so klingt, als würde sie »Krötenschleim« sagen.

Neulich betrat eine Kundin den Raum. Irgendetwas auf Englisch ins Handy schnatternd, beäugte sie die Auslage. Dort gibt es alles, was das Herz begehrt. Süßes und Herzhaftes, belegte Baguettes, Kaffee in diversen Ausführungen. Die Kundin erschien unzufrieden, telefonierte weiter und erkundigte sich zwischendurch nach etwas Veganem. Die Frau am Tresen bemühte ihr Englisch und erklärte, dass man hier allerlei habe, aber vegan … Die Kundin begnügte sich mit einem Kaffee, und die Frau am Tresen erläuterte zusammenfassend ihren Businessplan: »Here is all real. We have no Schickimicki.«

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