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  • Gescheiterter SPÖ-Vorsitzender

Oppositionschef wirft das Handtuch

Spekuliert SPÖ-Politiker Kern auf eine Karriere in Brüssel?

  • von Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

In wenigen Minuten war alles vorüber. Dienstagnachmittag kündigte Christian Kern in einer improvisierten Pressekonferenz seinen Rücktritt als SPÖ-Chef an. Der 52-jährige frühere Kurzzeitkanzler will Karriere in Brüssel machen. Die Partei lässt er ratlos zurück.

Vor zwei Jahren als Quereinsteiger von wenigen Granden der SPÖ auf den Chefstuhl der Sozialdemokratie und zugleich ins Kanzleramt gehievt, hat Kern - ohne je eine Wahl gewonnen zu haben - seine Partei nun ins Chaos gestürzt. Seine zugleich erfolgte Kür zum Spitzenkandidaten der SPÖ für die kommenden EU-Parlamentswahlen im Mai 2019 zeigt, in welchem Zustand sich die österreichische Sozialdemokratie befindet: einem demokratischen Auswahlverfahren musste er sich nicht einmal intern stellen, dafür war offenbar keine Zeit. Dass diese Vorgangsweise seine Chancen erhöht, Spitzenkandidat der EU-europäischen Sozialdemokraten zu werden, darf bezweifelt werden. Das Gratis-Boulevardblatt »Heute« traf wenigstens einmal den Nagel auf den Kopf, als es titelte: »Kern tritt in die EU zurück«.

Der aus dem Wiener Arbeiterbezirk Simmering stammende Kern verkehrt gerne in Managerkreisen, war er doch vor seiner Bestellung zum Politiker Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahnen, und präsentiert sich stets in Slim-Fit-Anzügen.

Unter den einfachen Menschen auf der Straße hat er allerdings das Vertrauen längst verloren. Dies zeigt auch ein bislang unter Verschluss gehaltener Vertrauensindex, der nun von der APA-Nachrichtenagentur veröffentlicht wurde. Diesem Index zufolge lagen seine Vertrauenswerte beim Amtsantritt im Mai 2016 bei plus 21 Prozent, sanken bereits nach einem Jahr kontinuierlich ab, stürzten dann Anfang 2018 ins Minus und wiesen zuletzt minus neuen Prozent auf. Christian Kern war - von der SPÖ aus betrachtet - ein personeller Fehlgriff.

Mit dem Zeitpunkt seiner Rücktrittsansage fiel Kern auch den Gewerkschaften in den Rücken. Der Österreichische Gewerkschaftsbund hatte nämlich am selben Dienstag Nachmittag 900 Gewerkschafter*innen aus dem ganzen Land in die Zentrale nach Wien kommen lassen, um hier Kampagnen gegen den von der rechten ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossenen Zwölf-Stunden-Arbeitstag zu besprechen. Kerns Abtritt stahl den Arbeitervertreter*innen die Show; gewerkschaftliche Maßnahmen gegen die seit 1. September gültige Arbeitszeitverlängerung fanden weder in der SPÖ noch in den Medien entsprechenden Widerhall.

Warum Kern ausgerechnet diese Woche das Handtuch warf, erschließt sich einem höchstens, wenn man seine persönliche Karriereplanung ins Auge fasst. Er spekuliert damit, die europäische Sozialdemokratie in die EU-Parlamentswahlen zu führen.

Dafür bietet sich ihm dieser Tage in Salzburg eine entsprechende Plattform. Am EU-Gipfel sind sämtliche Parteigenossen anwesend, um sich in persönlichen Gesprächen von seiner Kandidatur überzeugen zu lassen. Dies auf dem Rücken der eigenen Partei auszutragen, verwundert dann schon nicht mehr. Und die Tatsache, dass daheim im nationalen Rahmen gescheiterte Politiker auf EU-Ebene ihre wohl dotierte Bleibe finden, ist biografisch vielfach vorexerziert worden.

Wie es nun in der SPÖ weitergeht, getraut sich zu dieser Stunde niemand vorherzusagen. Die Frustration unter den Funktionär*innen ist enorm, der für Anfang Oktober geplante SPÖ-Parteitag wurde verschoben. Für die Nachfolge Kerns hagelt es prominente Absagen. So haben sowohl die Nationalratspräsidentin Doris Bures als auch die Spitzen der beiden SPÖ-geführten Bundesländer Kärnten und Burgenland wissen lassen, für den Vorsitz nicht zur Verfügung zu stehen. Niemand will sich offenbar die Hände schmutzig machen, um den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dass ausgerechnet in solchen Momenten von vielen Seiten der Ruf ertönt, die SPÖ müsse demnächst von einer Frau geführt werden, ist da nur umso peinlicher.

Die Vertreter der rechten Koalitionsregierung halten sich mit Kommentaren zum SPÖ-Debakel zurück und genießen die Selbstausschaltung der größten Oppositionspartei wohl im Stillen. Zu angeschlagen ist das Bild der Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit, als dass man es von Seiten der ÖVP oder FPÖ für angeraten hält, da noch nachzutreten.

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