• Berlin
  • Gedenkstätte Hohenschönhausen

Angetatscht, belästigt, gemobbt

Stiftungsrat der Gedenkstätte Hohenschönhausen prüft Vorwürfe zu Übergriffen auf Frauen

  • Florian Brand und Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen die »Vorgesetzten« der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen kommt der Stiftungsrat der Einrichtung am kommenden Dienstag zu einer Sondersitzung zusammen. Das kündigte der Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, am Donnerstag an. »Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein absolutes No-Go«, teilte Knabe mit. »Die Vorwürfe müssen ohne Ansehen der Person geprüft und, wenn sie sich bestätigen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln geahndet werden.«

In dem Brief, der auch »neues deutschland« vorliegt, berichten mindestens sechs Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte über ihre »individuellen Erfahrungen mit den Vorgesetzten in der Gedenkstätte«. Das Schreiben datiert vom 8. Juni dieses Jahres und ging an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Berlins Kultursenator Klaus Lederer (LINKE).

Die Frauen schreiben in ihrem Brief, dass es verbale Belästigungen mit sexuellem Charakter gegeben habe, zudem beklagen sie Berichte über sexuelle Vorlieben, aufdringliche private Einladungen, nächtliche SMS, Berührungen und auch Mobbing in Form »bestrafender« Ignoranz nach konflikthaften Gesprächen. Es habe »enge Umarmungen« gegeben, »fast intime körperliche Nähe« und »Berührungen wie Streichen über die Arme«.

Der Sender rbb und die »Berliner Zeitung« hatten zuerst über das Thema berichtet. Laut rbb werden die Vorwürfe gegenüber dem stellvertretenden Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Helmuth Frauendorfer, erhoben.

Der Anwalt des Beschuldigten habe laut rbb inzwischen ein »Fehlverhalten und Mangel an Sensibilität« eingeräumt, aber erklärt, das abgestellt zu haben, »nachdem er vor gut zwei Jahren vom Direktor der Gedenkstätte darauf angesprochen worden sei«. Die Gedenkstätte habe erst am Montag durch eine Anfrage des rbb erfahren, worüber sich die Mitarbeiterinnen konkret beschwert hätten, heißt es weiter. »Ich bedaure sehr, dass sich die Mitarbeiterinnen weder an den Personalrat noch an die Leitung der Gedenkstätte gewandt haben.«

Knabe versicherte, die Gedenkstätte werde dafür Sorge tragen, dass aus den Vorwürfen alle notwendigen Konsequenzen gezogen würden. Bereits im April 2018 habe er Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, als er von den anonymen Beschwerden gehört hätte. Das Ermittlungsverfahren sei im August eingestellt worden, da laut Staatsanwaltschaft der für eine Anklageerhebung erforderliche hinreichende Tatverdacht nicht gegeben sei. Neben strafrechtlichen und personalrechtlichen Fragen ginge es aber auch um Vorbeugung und Aufklärung. Aus diesem Grunde habe er mit dem Personalrat eine Dienstvereinbarung zum Beschäftigtenschutz und respektvollen Umgang am Arbeitsplatz abgeschlossen und eine Anti-Diskriminierungsbeauftragte ernannt.

Das ehemalige Vorstandsmitglied des Fördervereins der Gedenkstätte, Stephan Hilsberg (SPD), sagte auf »nd«-Anfrage, es hätten lange vor dem öffentlich werden der Anschuldigungen Gerüchte darüber gegeben. Er wisse von mindestens einer Person, die davon »seit einiger Zeit« wisse, allerdings habe es nie substanzielle Beweise für die Anschuldigungen gegeben. »Die Vorwürfe nun müssen sehr ernst genommen werden und gründlich untersucht werden«, so Hilsberg. »Das schadet dem Ruf der Gedenkstätte und kann nicht im Raum stehen gelassen werden.« Hilsberg forderte Konsequenzen, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten.

Die Grünen forderten ebenfalls eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. »Die Gedenkstätten-Führung muss sich schon heute vorhalten lassen, viel zu lange geschwiegen zu haben. Hier darf nicht länger relativiert und beschönigt werden: Sollte sich der Vorwurf des strukturellen Sexismus in der Chefetage weiter erhärten, sind weitreichende personelle Konsequenzen unausweichlich«, kommentierten der parlamentarische Geschäftsführer und Sprecher für Kulturpolitik, Daniel Wesener, sowie die Vorsitzende des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten, Sabine Bangert die Vorwürfe.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer sagte »nd«: »Wir sind seit Kenntnis der aktuellen Vorwürfe intensiv und auf mehreren Ebenen um Aufklärung bemüht und haben dazu auch mehrfach mit Dr. Knabe gesprochen.« Zu Ergebnissen und Konsequenzen könne man sich aber seriöser Weise erst nach Abschluss der Untersuchungen äußern.

Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen befindet sich im ehemaligen Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit der DDR. Sie wird gemeinsam vom Bund und dem Land finanziert. Zuletzt hatte es eine Kontroversen um die Gedenkstätte und deren Förderverein gegeben. Die Gedenkstätte hatte die Zusammenarbeit mit dem Förderverein beendet, nachdem ein Streit über die Nähe des Vereinsvorsitzenden zur AfD hohe Wellen geschlagen hatte.

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