Frontex oder Realismus

Jacqueline Andres über die Illussion, Migranten mit Geld und Militär an den Außengrenzen Europas aufhalten zu wollen

  • Jacqueline Andres
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Reserve von 10 000 Einsatzkräften für Frontex bis 2020 - das forderte der Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker bei seiner letzten Rede zur Lage der Union in Brüssel. Bei ihrem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler und Rechtspopulisten Sebastian Kurz schloss sich auch Kanzlerin Merkel dieser Forderung an. Tatsächlich ist sie jedoch schon seit dem EU-Gipfel in Juni 2018 beschlossene Sache.

Mehr Personal, mehr Befugnisse, mehr Technologie, mehr Abschottung an der Grenze - das sind schon seit über einem Jahrzehnt die immer wieder mit großem Spektakel vorgebrachten »Lösungsansätze« der EU im Umgang mit Migration. Dazu kommt noch die Vorverlagerung der Grenzsicherung.

Auch jetzt wieder soll Frontex mehr Personal und Befugnisse erhalten, um in Drittstaaten aktiv werden zu können. Auch die Idee von Aufnahmelagern in Nordafrika wurde bereits im Jahr 2004 - damals u.a. vom deutschen Innenminister Schily - vorgebracht. Im gleichen Jahr wurde die Grenzschutzagentur Frontex ins Leben gerufen. 2005 erhielt sie ein Jahresbudget von sechs Millionen Euro bis 2018 ist es auf 320,2 Millionen angestiegen. Am Wunsch, nach Europa zu kommen, haben all diese »Investitionen« nichts geändert, die Zahl der Toten im Mittelmeer ist weiter angestiegen.

In Nordafrika sind tatsächlich Lager entstanden - und zwar unter Kontrolle islamistischer Milizen in Libyen, die die Insassen wie Vieh behandeln und als Sklaven verkaufen. Das ist durch Menschenrechtsaktivisten und Journalisten mittlerweile gut dokumentiert. Die immer gleichen Ideen und Forderungen sind im engsten Sinne populistisch: Mit ihnen suggeriert die EU, mehr Grenzschützer könnten mit modernster Technologie ausgestattet durch engmaschige Überwachung Grenzen tatsächlich kontrollieren. Ihre bereits weit gediehene Umsetzung offenbart, dass dies eine Illusion ist.

Die Bestrebungen nach weiterer Abschottung, mehr Abschiebungen und Überwachung werden nie zu hermetisch abgeriegelten Grenzen führen, weil Menschen immer einen Weg finden werden, um diese zu überwinden. Und tatsächlich will man ja auch Zuwanderung - man fördert sie unter Stichworten wie »Fachkräftemangel«.

Man will nur beziehungsweise will zumindest so tun, als könne man sich aussuchen, wer kommen soll und wer kommen darf. Den Preis, den diese Simulation von Kontrolle kostet, zahlen die Menschen, die nicht mehr nur im Mittelmeer, sondern auch in der Sahara und zunehmend auch in den Alpen dem Grenzregime zum Opfer fallen.

Mutig wäre ein politischer Realismus, der anerkennt, dass Menschen sich auf den Weg machen und warum. Und dass diese Menschen auch ankommen und dann aufgenommen - in einem positiven Sinne integriert werden müssen.

So führte Domenico Lucano, der Bürgermeister der kalabrischen Kleinstadt Riace, im August 2018 einen Hungerstreik durch, um gegen die Streichung von Fördermittel für die Aufnahme von Migrant*innen zu protestieren. Seit 1998 entwickelte sich die kleine Stadt zu einem kreativen und menschlichen Vorzeigeprojekt für Migrationspolitik, in der nicht auf Isolation der neuen Miteinwohner*innen gesetzt wird, sondern auf eine starke Einbindung, gemeinsames Arbeiten und die Nutzung kollektiver Räume für ein Zusammenrücken im Alltag.

Die überschaubaren Kosten einer solchen Politik sollen nun eingespart werden. Demgegenüber beziffert die EU die Gesamtkosten für die personelle und materielle Aufstockung von Frontex für den Zeitraum 2019-2020 mit 1,3 Milliarden Euro - und mit 11,3 Milliarden für den Zeitraum 2012-2027. Die Gewinner dieser herrschenden Sicherheitsideologie sind die Sicherheitsindustrie, die Überwachungsapparate - und die populistischen Parteien, denen die EU doch sonst auch bei jeder Gelegenheit den Kampf ansagt.

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