Vom Verwalten des Prekären

Der Minijob gehört ersetzt, der Freibetrag drastisch gesenkt - denn Arbeit muss sich wieder lohnen

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hätte gerne eine moderate Anpassung bei den Minijobs gesehen. Statt 450 Euro monatlich sollten es fortan 487 Euro sein, die man sich so abgaben- und steuerfrei verdienen kann. Der Bundesrat hat am letzten Freitag einstweilen den Antrag hierzu abgelehnt. Einen Tag später meldete sich die Minijob-Zentrale zu Wort. Auch sie sei für eine Anpassung. Sie müsse aber nach eigenem Verständnis gar nicht so kleinlich ausfallen, denn mit jeder Erhöhung des Mindestlohnes würde die »zur Verfügung stehende Arbeitszeit« gesenkt. Als der Mindestlohn noch bei 8,50 Euro in der Stunde lag, konnte ein Minijobber noch 53 Stunden im Monat arbeiten – ab 2019 werden es nur noch 49 Monatsstunden sein können. Die Arbeitgeber schlossen sich indes der Forderung an.

Für viele geringfügig Beschäftigte hat sich an der Arbeitszeit seit Einführung des Mindestlohnes übrigens nur sehr wenig getan. Anfang letzten Jahres veröffentlichte die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie zweier Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Dabei wurden tausende Menschen befragt, die ihre Haupterwerbsquelle durch geringfügige Beschäftigung abdecken. Fast die Hälfte der Betriebe, so kam heraus, haben keinen Mindestlohn für Minijobber übrig. Der Zoll, der ja zuständig für Kontrollen durch die Einhaltung des Mindestlohnes ist, leidet unter Personalmangel, hat außerdem so viele Aufgabenbereiche abzudecken, dass Mindestlohnkontrollen meist keine Priorität haben. Zudem lassen sich Arbeitszeitprotokolle leicht so gestalten, dass Kontrollen sowieso sinnlos sind.

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Eine weitere Studie aus dem Hause RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) legte übrigens noch nach: Mehr als 34 Prozent der Betroffenen bekommen keinen bezahlten Urlaub und für 31 Prozent fällt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall weg. Diese verbindlichen Rechtsansprüche werden vielen Minijobbern vorenthalten.

Dass sich die Situation in Zeiten des angehobenen Mindestlohns stark verändert habe, wie das die Minijob-Zentrale erklärt, dass man also weniger an Arbeitskraft aus den Beschäftigten pressen könne, kann stark bezweifelt werden. Minijobs sind längst Teil der Schattenwirtschaft geworden. Eigentlich ist das Szenario ein ganz anderes: Man hat über Jahre so viel Arbeitszeit aus geringfügig beschäftigten Menschen gedrückt, dass man jetzt auf Unternehmerseite mit einer etwaigen Normalisierung dieser Arbeitsverhältnisse gar nicht umgehen kann. Die räuberischen Methoden wurden zu einer Art Gewohnheitsrecht.

Man hätte eigentlich schon längst politisch ansetzen müssen. Freilich nicht so, wie man das jetzt offenbar auf der Agenda hat, indem man die prekären Strukturen so anpasst, dass damit die Beibehaltung von Arbeitskraft gewährleistet ist, die flexibel und ohne unternehmerische Verantwortung aufgesaugt werden kann. Mit der Etablierung des Mindestlohnes zeichnete sich ab, dass der Minijob rein rechnerisch an Grenzen stoße. In der Praxis war mit weiteren Schlichen zu rechnen. Sukzessiv hätte man diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in »kleine sozialversicherungspflichtige Stellen« überführen müssen.

Jetzt steht man vor der Entscheidung: Entweder man toleriert die krummen Touren zur Umgehung des Mindestlohnes in diesem Sektor, indem man nicht zu genau hinschaut – also, indem man weitermacht wie bisher. Oder aber man baut den prekären Sektor aus, erhöht den Freibetrag und etabliert somit jene, die in diesem Feld arbeiten, dauerhaft in einem prekären Zustand ohne erfüllte Ansprüche und Zugang zur Krankenversicherung.

Den Teufelskreis prekärer Beschäftigung durchbricht man nicht, indem man die prekären Vorgaben erweitert und sich innerhalb der prekären Logik bewegt. Man muss ihn durchbrechen. Raus aus dieser Tretmühle, die sich nicht reformieren lässt, ohne immer neue Gräben der Verarmung zu reißen. Raus aus dem bloßen Verwalten des Prekären. Der Niedriglohnsektor bietet keinen Gestaltungsspielraum.

Der Minijob gehört ersetzt, der Freibetrag drastisch gesenkt. Denn Arbeit muss sich wieder lohnen – die FDP hatte in dem Punkt stets recht. Nur anders als sie es meinte: Alle Arbeit muss fair bezahlt, abgesichert und mit Rechtsansprüchen belohnt werden. Und mit Kontrollen, die das sicherstellen.

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