nd-aktuell.de / 06.12.2018 / Politik

»Grundeinkommen für Kohlekumpel«

Über den Konflikt zwischen Umweltbewegung und Arbeiterschaft

Fabian Hillebrand

Die Lager in den Kohlerevieren sind verhärtet. Auf der einen Seite stehen Klimaaktivist*innen, die argumentieren, auf einem toten Planeten gäbe es überhaupt keine Arbeitsplätze mehr. Auf der anderen Seite stehen Arbeiter*innen, die um ihre Stellen fürchten. Hat die Klimabewegung eine Verantwortung für die Kohlekumpels?

Ja und nein. Nein, denn als Klimabewegung sind wir der Stachel, der den Finger auf die Wunde legt. Unsere Prioritäten liegen aufgrund der sich zum Ende neigenden Ressourcen dieses Planeten und der Klimakrise auf einer drastischen Wende in der Klimapolitik. In Deutschland brauchen wir dafür einen sofortigen Kohleausstieg. Aber es geht uns auch um Gerechtigkeit. Wir müssen aus den fossilen Energien aussteigen, dies aber sowohl ökologisch wie auch sozial gerecht gestalten. Das beinhaltet auch eine globale Perspektive: die Länder im Globalen Süden leiden am meisten unter dieser Art der Produktion. Doch auch die Menschen in Deutschland, die von der extraktivistischen Industrien abhängig sind, müssen mitgedacht werden. Daher haben gesellschaftliche linke Kräfte unbedingt auch eine Verantwortung gegenüber den Kohlekumpels.

Was antwortest du den Menschen, die um ihre Arbeitsplätze fürchten?

Erstens könnte ein Großteil der Beschäftigten in der Braunkohle leicht in Frührente gehen, weil die Altersstruktur dort enorm hoch ist. Da müssen wir dann auch dafür kämpfen, dass die vernünftig ausbezahlt werden. Dann brauchen wir zweitens extrem viele Fachkräfte, die den Tagebau wieder schließen und ihn renaturieren. Dafür brauchen wir genau das Know-How der Kohlekumpels. Zum dritten gibt es verwandte Branchen, wie die erneuerbaren Energie, die ein Vielfaches mehr an Arbeitsplätzen bieten. Die Menschen aus der Kohle könnten ihre Fähigkeiten hier einbringen. Dies könnte z.B. auch dazu führen, dass dieser Sektor gewerkschaftlich gestärkt wird.

Darüber hinaus fordern Bündnisse wie »Ende Gelände«, dass die Unternehmen wie RWE und Vattenfall den Kohleausstieg bezahlen sollen. Diese haben jahrzehntelang von dem System profitiert, sie müssen nun auch die Hauptlast tragen, nicht die Beschäftigten.

Welche Rolle haben dabei die Gewerkschaften der Kohlekumpels?

Die IGBCE steht der Unternehmensmeinung von RWE leider sehr nahe. Sie geht außerdem davon aus, dass eine komplette Energiewende auch den Strom extrem verteuern wird, was die Produktion in der Chemiebranche kostspieliger machen würde. Dort hat die IGBCE einen Großteil ihrer Mitglieder. Der Streit um die Braunkohle ist auch deshalb so aggressiv, weil es eigentlich um die Arbeitsplätze in energieintensiven Industrien geht. Das ist ja auch die Aufgabe einer Gewerkschaft, ist also vollkommen nachvollziehbar. Ich finde es nur ein wenig verlogen den Kohlekumpels gegenüber, denn deren Arbeitplätze haben keine Zukunft. Das weiß auch die IGBCE sehr gut.

Zudem fällt auf, dass wenn wir den anstehenden Strukturwandel in der Kohle mit anderen großen wirtschaftlichen Umbrüchen vergleichen, diese zum Teil mit deutlich weniger Lobby der Beschäftigten über die Bühne gebracht wurden. Die Textilbranche zum Beispiel ist in Deutschland komplett weggebrochen. Oder die 20.000 »Schlecker«-Frauen, die auf einen Schlag, aufgrund von Missmanagement der Chefetage, arbeitslos geworden sind. Da gab es überhaupt keine Entschädigungen. Und eine Lobby hatten die schon gar nicht.

Wie könnte ein gerechter Strukturwandel aus?

Ein gerechter Strukturwandel sollte klimaschädliche Industrie abbauen, ohne auf Kosten der Beschäftigten zu gehen. Dabei brauchen wir Mut zu Experimenten. Zum Beispiel ein von den Unternehmen bezahltes Grundeinkommen. Dann können sich die Menschen entfalten. Mal schauen, wie lange die Kumpels ihren Kohlejobs nachtrauern würden. Vielleicht machen die ja lieber Permakultur oder bauen Solaranlagen.

Wir müssen aber auch zugeben: Die Frage nach dem gerechten Strukturwandel ist kein ausbuchstabiertes Konzept. Es ist auch nicht so, dass wir im Ruhrpott einen fairen Strukturwandel hatten, wie das so oft behauptet wird. Wir hatten Massenarbeitslosigkeit. Die Aufgabe für linke Kräfte wäre es, mehr als bisher Konzepte vorzulegen, bei denen die Last des Wandels nicht auf den Schultern der Arbeiter*innen ausgetragen wird, aber gleichermaßen eine Energieversorgung im Rahmen der planetaren Grenzen möglich ist. Das ist weder einfach, noch gibt es dazu fertige Konzepte. Aber wir müssen es jetzt angehen.

Warum ist der Strukturwandel bisher gescheitert?

Einige wenige profitieren massiv von dem System Kohle in Deutschland. Solange es nicht massiven Widerstand gibt und es sich lohnt, machen die Konzerne natürlich einfach weiter. Das ist Kapitalismus. Bis zum Herbst wussten ja auch die wenigsten Deutschen von der Braunkohle oder den Kämpfen im Hambacher Wald. Auch die Klimakrise ist durch den Hitzesommer stärker in den Herzen angekommen – wir fühlen die Krise jetzt, sie rückt uns auf die Pelle. Doch natürlich ist der Strukturwandel keine Sache, die man von heute auf morgen angeht. Wir hätten schon vor 20 Jahren damit anfangen müssen, dass war damals auch schon allen klar. Aber es gibt eben ganz massive gesellschaftliche Zielkonflikte. Die einen wollen weiter von der Kohle hier profitieren, aber die anderen auf den pazifischen Inseln stellen fest, dass ihre Böden aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels versalzen und ihre Heimat unbewohnbar wird. Das ist eine harte Aufrechnung, aber an genau solchen Fragen kommen wir eben nicht mehr vorbei.

Die Klimabewegung ist in die Kritik geraten, die Anliegen der Arbeiter*innen nicht ernst zu nehmen. Ärgerst du dich manchmal auch über fehlende Sensibilität mancher Aktivist*innen?

Nein, dafür kenne ich die Bewegung viel zu gut. Es gibt hier viele Menschen, die sich über diese Themen Gedanken machen, denen das sehr wichtig ist. Ich glaube, das wird nur oft nicht gehört.

Der größte Vorwurf, den wir uns als Bewegung machen müssen, ist, dass wir bisher nur eine bestimmte, akademisch geprägte Schicht und Linksradikale mobilisieren. Auch, weil wir eine Sprache verwenden, die einen Kumpel im Rheinischen Revier nicht anspricht. Das ist eine grundsätzliche Erfahrung, die ich im jahrelangen Dialog mit diesen Leuten gemacht habe.

Es ist ein interkultureller Dialog, den wir führen! Die Kumpels im Rheinischen Revier, mit denen ich mich im Übrigen sehr gut verstehe, sprechen eine andere Sprache. Letztendlich geht es beiden Gruppen aber um das Gleiche: Gerechtigkeit und Sicherheit. Aber sie drücken das habituell, politisch und kulturell sehr unterschiedlich aus.

Sehen die Kohlearbeiter*innen, mit denen ihr im offiziellen Dialog steht, dass ein Kohleausstieg nötig ist? Geht es bei denen nicht vor dem »wie« auch um das »ob« eines Kohleausstieges?

Viele in der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich zum ersten Mal mit den Arbeiter*innen auseinandersetzen, denken, man müsse den Kohlearbeiter*innen einfach nur gründlich erklären, warum ein Ausstieg nötig ist. Das ist natürlich naiv und außerdem paternalistisch. Der Großteil der Menschen, die im Bergbau arbeiten, wissen natürlich vom Klimawandel. Klimaleugner sind in der absoluten Minderheit. Die Menschen stellen aber keine Kausalität her zwischen der Produktions- und Lebensweise hier und den Folgen anderswo. Eine Frau erzählt mir zum Beispiel, sie fliege jedes Jahr auf die Seychellen und sieht dort, wie die Korallenriffe immer weiter zerstört werden, weil die Wassertemperaturen steigen. Aber sie bringt das nicht mit ihrer Arbeit im Tagebau zusammen. Was ich auch oft zu hören bekomme: Warum wird gerade hier bei uns der Bergbau geschlossen? Warum tun China oder die USA nicht mehr?

Und gibt es nicht berechtigte Gründe zu sagen, es ist unfair, hier in Deutschland anzufangen?

Nein, ganz im Gegenteil. Wir müssen genau hier anfangen. Nicht nur, weil das Rheinische Revier die größte CO2 Schleuder Europas ist. Sondern auch, weil wir in Deutschland nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die historische Verantwortung haben, den Klimawandel ernsthaft anzugehen. Wir verfeuern seit hunderten von Jahren fossile Brennstoffe und beuten die Ressourcen anderer Länder aus und haben damit immensen gesellschaftlichen Wohlstand aufgebaut – auf Kosten anderer. Deutschland trägt seit Jahren des Image des Energiewende-Vorreiters, jetzt müssen wir dem auch Taten folgen lassen und aus der Kohle aussteigen. Es ist aber ganz klar eine der kniffligsten Zukunftsfragen dieser Gesellschaft. Wir müssen uns auch eingestehen, dass wir auch in der gesellschaftlichen Linken noch nicht die perfekten Lösungen gefunden haben.