Rettungsdienst geht anders

Staat muss laut einem EuGH-Urteil die Aufträge nicht öffentlich ausschreiben

Es gibt kaum noch einen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, in dem private Unternehmen nicht mitmischen. Auch wenn man im medizinischen Notfall die Nummer 112 wählt, kann es sein, dass eine Privatfirma den Transport ins Krankenhaus durchführt. Zu den Großen auf dem deutschen Markt gehört die dänische Unternehmensgruppe Falck, die mittlerweile 470 Rettungswagen in acht Bundesländern im Einsatz hat. Allerdings schielt der Konzern eifersüchtig auf die Konkurrenz der großen Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), den Arbeiter-Samariter-Bund oder den Malteser Hilfsdienst. Allein das DRK hat 4700 Rettungswagen im Einsatz. Und es geht um einen boomenden Riesenmarkt: In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Ausgaben der Krankenkassen für den Rettungsdienst nahezu verdreifacht und beliefen sich zuletzt auf 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2017.

Falck und Konsorten möchten gern deutlich mehr von dem Kuchen abhaben und fühlen sich mancherorts von der öffentlichen Hand benachteiligt. Länder und Kommunen, die für die Organisation zuständig sind, vergeben nämlich in vielen Fällen ohne europaweite Ausschreibungen die Aufträge direkt an die Hilfsdienste. So war das im Jahr 2016 auch in Solingen der Fall. Die Stadt in der Region Nordrhein forderte mehrere Hilfsorganisationen zur Abgabe eines Angebots auf und vergab dann den Auftrag über Rettungsdienstleistungen für die Dauer von fünf Jahren an zwei dieser Vereinigungen. Falck hätte hier gerne mitgeboten, wusste aber von der Vergabe nichts, da sie nicht im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden war, wie es bei gewöhnlichen Ausschreibungen der Fall ist. Der Konzern hält dies für einen Verstoß gegen Europarecht und zog vor Gericht.

Speziell geht es um die Richtlinie zur öffentlichen Auftragsvergabe aus dem Jahr 2014. Laut dieser sind vereinfachte Beschaffungsregelungen ohne europaweite Ausschreibung zulässig bei »Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung«. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf bat vor seinem Urteil den Europäischen Gerichtshof um rechtliche Klärung, wie dieser Passus für den vorliegenden Fall zu verstehen sei.

Die Luxemburger Richter entschieden in ihrem am Donnerstag verkündeten Urteil, dass der Rettungsdienst in den Bereich der »Gefahrenabwehr« und damit unter den Geltungsbereich der EU-Richtlinie falle. Dies betreffe auch »qualifizierte Krankentransporte«, bei denen ein Rettungssanitäter an Bord sein muss, wenn bei dem beförderten Patienten »das objektiv zu beurteilende Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert«. Ferner wollte das OLG wissen, wie der Begriff »gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen« auszulegen ist. Antwort der EU-Richter: Deren Ziel muss in der Erfüllung sozialer Aufgaben bestehen, sie sind nicht erwerbswirtschaftlich tätig und reinvestieren etwaige Gewinne.

Das Rote Kreuz begrüßte das Urteil. »Diese für die gesamte Gesellschaft wichtige Dienstleistung muss von anerkannten Hilfsorganisationen erbracht und darf nicht dem privatwirtschaftlichen Markt überlassen werden«, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Das Rote Kreuz erwartet zudem, dass das Urteil nun bundesweit Folgen hat. »Wir fordern alle Bundesländer auf, die Bereichsausnahme in den jeweiligen Rettungsdienstgesetzen zu berücksichtigen«, sagte DRK-Generalsekretär Christian Reuter.

Tatsächlich gibt es in Deutschland derzeit einen gesetzlichen Flickenteppich. Nachdem der Bundesgerichtshof 2008 geurteilt hatte, dass Rettungsdienstleistungen grundsätzlich ausgeschrieben werden müssen, begann der Aufstieg der Privaten. Die EU-Richtlinie, die im April 2016 in deutsches Recht überführt wurde, schob der kompletten Öffnung dann aber einen Riegel vor. Heute gibt es unterschiedliche landesgesetzliche Regelungen, und teilweise wird die Vergabe von Kommune zu Kommune anders gehandhabt. So übernahm das Falck-Tochterunternehmen ASG Ambulanz Leipzig im Februar den Rettungsdienst im nordsächsischen Oschatz. Und an der Feuer- und Rettungswache 2 im Kölner Stadtteil Marienburg, nur 40 Kilometer von Solingen entfernt, warten vier Rettungswagen der Privatfirma auf ihren Einsatz.

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