In Häppchen serviert

Nachrichten von steigenden Bezügen der DAX-Vorstände und vom geprellten Mindestlohn sind eine Soße, meint Roberto De Lapuente

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einigen Tagen versorgte man uns mit Nachrichten vom Aufschwung. 2018 war ein gutes Jahr, eines mit satten Zuwächsen beim Verdienst. Jedenfalls für DAX-Vorstände. 3,6 Prozent oder 7,5 Millionen Euro mehr als 2017 wurden ausgeschüttet – für eine kleine Riege von 23 Männern. Für 2018 und 2019 werden bereits weitere Steigerungen erwartet. Erst 2020 soll es wieder ein Minus geben. Bis dahin stellt die letztjährige Ausschüttung gewissermaßen den Mindestlohn für die illustre Riege potenter Firmenchefs dar.

Über den Mindestlohn gab es gleichzeitig übrigens auch eine Nachricht. Ob das eine aus dem Aufschwungsrepertoire ist, ganz so wie die freudige Botschaft der Bereicherung an sich ohnehin schon reicher Männer, ist da freilich Ansichtssache. Für die Betroffenen ist es aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfreulich, dass sie um ihren Mindeststandard gebracht werden. Der Zoll hat 2018 nämlich mehr Mindestlohnverstöße aufgedeckt als im Jahr zuvor. Ja, ganz richtig gelesen, im selben Zeitraum, in dem die Vorstandslöhne florierten, brachte man mehr Mindestlohnabhängige denn je um ihren verdienten, aber dann eben doch nicht verdienten (und eigentlich ohnehin zu niedrigen) Lohn.

Beide Nachrichten beeinflussen einander, sie bilden die Qualität unserer schönen Wirtschaftswelt dar, zeigen wie das vielzitierte Jobwunderland, in dem wir angeblich leben, tatsächlich ist. Bertolt Brecht hätte es so eingeschätzt: »Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich.« Dieses Prinzip entspricht freilich einer generellen kapitalistischen Prämisse – doch nie, jedenfalls nicht mehr seit den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise, ist die Verteilung so in Ungleichgewicht geraten wie in den vergangenen Jahren.

Natürlich wäre es zu platt anzunehmen, die Vorstände könnten sich einzig und alleine ein höheres Gehalt leisten, weil sie beim Mindestlohn einsparen. Dennoch gibt die Tatsache, dass beide Nachrichten etwas gleichzeitig gemeldet wurden, ein Bild von einer Wirtschaftsform ab, die einen Aufschwung ihre Leistung nennt, von dem viele nichts haben. Die Verteilung des erwirtschafteten Wohlstandes findet faktisch nicht mehr statt. Regularien wie der Mindestlohn werden umgangen. Dem herrschen System wohnt eine kriminelle Energie inne, die man sonst nur Unterweltbanden zutraut.

Dass man dieses Abbild unseres Wirtschaftens gestückelt, quasi in Häppchen serviert bekommt, ist nicht nur schade, sondern auch gefährlich. Neil Postman hat bereits 1985 in seinem Buch »Wir amüsieren uns zu Tode« kritisch auf die Stückelung von News hingewiesen. Die würde ein komplexes Bild der Lage verzerren. Die bröckchenweise dargebotene Schau auf die Welt bildet nicht die Realität ab, sondern lediglich Ausschnitte davon.

Dieser Theorie nach konnten sich Interessierte also aussuchen, ob sie die Nachricht vom Betrug oder die von den steigenden Einkünften der Bosse mehr Aufmerksamkeit schenken – und damit, ob sie eher vom positiven oder vom besorgniserregenden Verlauf der wirtschaftlichen Dinge überzeugt sind. Sie konnten ihre ohnehin vorhandene Befindlichkeit mit einer Nachricht nach ihrem Geschmack verfestigen. Mit Komplexität irritieren muss ja nicht sein, wenn man schon eine Meinung hat.

Nein, Wirtschaftsnachrichten lassen sich nicht zerstückeln und in kleinen Portionen konsumieren, zu verstrickt wirtschaftet man heute. Man kann sich nicht das eine denken, ohne das andere damit in Mitleidenschaft zu ziehen. Nachrichten von steigenden Vorstandsbezügen und Nachrichten vom geprellten Mindestlohn sind eine Soße. Da war Brecht mit seinem »Reicher Mann und armer Mann« aber ökonomisch versierter, als manches Wirtschaftsressort einer Zeitung oder eines Senders, das sich auf Zersplitterung der komplexen Abläufe spezialisiert hat. Das hier was steigt und dort was sinkt: Das ist kein Zufall, die herrschende Ökonomie würfelt nicht. Das sind keine zwei Nachrichten – das ist eine: Die Nachricht von der funktionierenden Umverteilung – von unten nach oben.

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