Der Staat überfordert, die Gesellschaft verroht

Vertrauen in den öffentlichen Dienst nach aktueller Forsa-Umfrage gesunken

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Feuerwehrleute bleiben mit Abstand die beliebteste Berufsgruppe. Doch damit scheint es mit der Stabilität in den Ergebnissen der aktuellen Bürgerbefragung zum öffentlichen Dienst auch schon vorbei. Laut der repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des deutschen Beamtenbundes (dbb) erstellt hat, denken 61 Prozent der Bürger*innen in Deutschland, der Staat sei mit der Erfüllung seiner Aufgaben überfordert. Der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach und der forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner stellten die Ergebnisse am Dienstag in Berlin vor.

Dass die Zahl derer, die den Staat für überfordert halten, insgesamt so hoch sei, liege zum guten Teil an den laufenden politischen Konflikten innerhalb der Union, der Koalition und der SPD, »die gleichzeitig versucht, Regierung und Opposition zu sein«, sagte der Forsa-Chef. Wenig verwunderlich: Die Anhänger*innen der AfD sind zu 82 Prozent der Meinung, der Staat komme mit seinen Aufgaben nicht klar. Das Gleiche denken 64 Prozent der FDP-Anhänger*innen, bei der Linkspartei sind es 66 Prozent, bei den Grünen 57 Prozent, der SPD 56 Prozent und der Union 52 Prozent.

Die Ergebnisse der Befragung spiegeln die Themen wider, die in den letzten Monaten und Jahren den öffentlichen Diskurs beherrscht haben. 24 Prozent der Befragten, die den Staat überfordert wähnen, meinen, dass das besonders auf die Schul- und Bildungspolitik zutreffe, 19 Prozent denken das über die Asylpolitik, 17 über die innere Sicherheit, 13 Prozent über die Klima- und Umweltpolitik, 12 Prozent über die Gesundheitspolitik, die sozialen Sicherungssysteme und die Rente; und 11 Prozent der Menschen denken, der Staat tue zu wenig bei der Herstellung sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft.

Es herrsche ein »Gefühl vor, dass der Staat seine Aufgaben nicht in vollem Umfang erfüllen kann«, schreibt Forsa. Das zeige sich nicht zuletzt daran, dass ein Viertel der Befragten keinen konkreten Bereich nennt, sondern von einer generellen Überforderung spricht.

Der dbb lässt die Befragung seit 2007 jährlich durchführen. Ein Thema, das dem Gewerkschaftsdachverband seit Jahren auf den Nägeln brennt, ist die wachsende Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Grund genug, in der aktuellen Studie auch Meinungen zu Gewalt gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und deren Wahrnehmung in der Gesellschaft abfragen zu lassen. Das Ergebnis ist deutlich: 83 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Gesellschaft verrohe zunehmend.

Auch die von der Gewalt Betroffenen, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, sind dieser Meinung. So hat ein Viertel der Befragten angegeben, sie hätten schon einmal einen Übergriff auf öffentlich Bedienstete beobachtet. Das reicht von Beschimpfungen und Anschreien bis hin zu Schlägen, Tritten und Würgen.

Von den Beschäftigten im öffentlichen Dienst selbst gaben 48 Prozent an, schon einmal während ihrer Tätigkeit angegangen worden zu sein. Das reicht von Beleidigungen (89 Prozent) bis hin zum Geschlagenwerden (17 Prozent).

Für die Gewerkschaft ist das ein Alarmzeichen. »Es ist höchste Zeit zum Handeln«, sagte dbb-Chef Ulrich Silberbach. Der dbb fordert neben einem »Investitionsprogramm Sicherheit im Dienst« ein Register, in dem Übergriffe zentral erfasst werden, sowie eine Änderung des Bundesbeamtengesetzes: Dass nach einem Angriff entstehende Schadenersatzansprüche von Beschäftigten vom Dienstherrn gezahlt und eingetrieben werden, solle künftig für alle öffentlich Beschäftigten gelten. »Das wäre ein deutliches Zeichen, dass sich der Staat vor und hinter seine Bediensteten stellt«, so Silberbach.

Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates schwindet, die Gewalt gegenüber Beschäftigten nimmt zu. Institutionen verlieren an Ansehen. Das betrifft in hohem Maße besonders die Landesbehörden. In der Zusammenfassung heißt es bei Forsa, die Ergebnisse würden in starkem Maße von einem generellen Vertrauensverlust beeinflusst. Dieser habe sich nach der Bundestagswahl 2017 und der langwierigen Regierungsbildung noch beschleunigt. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates sei beeinträchtigt, während Bürger*innen sich »in einer Zeit der Globalisierung und zunehmender geopolitischer Konflikte« eben diesen Staat als »starke Schutzmacht« wünschten.

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