Die neue »Öko-Apartheid«

Die USA haben nach Hurrikan Dorian ihre Einreiseregeln für Einwohner der Bahamas verschärft

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Öko-Apartheid« begann mit einer Lautsprecherdurchsage auf der Fähre. »Wenn Sie keine Visa für die Einreise in die USA haben, steigen Sie jetzt bitte wieder aus«, scheppert es aus dem Lautsprecher der Fähre der Firma Balearia. In letzter Minute, bevor das Schiff die von Hurrikan Dorian verwüstete Insel Grand Bahama verlässt, informiert der US-Grenzschutz über neue Einreiseregeln nach Florida. Und das, nachdem der stärkste Wirbelsturm, der den Inselstaat Bahamas je getroffen, tagelang über Grand Bahama stillgestanden und Häuser einfach eingeebnet hatte. Nachdem Einwohner dabei zusehen mussten, wie Menschen von der Sturmflut davongerissen wurden, wollen viele nur noch weg. Hunderte warteten am Montag im Hafen in der Stadt Freeport darauf, auf die wieder verkehrende Fähre zu gelangen, die in den US-Bundesstaat Florida fährt. Bisher konnten die schwarzen Einwohner der Bahamas-Inseln ohne Visa nach Florida reisen. Wie in vielen Inselstaaten gibt es eine große Diaspora, die im Ausland lebt, in diesem Fall im nahen Florida. Viele Inselbewohner besuchen regelmäßig Verwandte im südlichsten US-Bundesstaat. Umgekehrt kommen viele US-Amerikaner regelmäßig als Touristen auf die flachen Koralleninseln, die über traumhaft weiße Sandstrände verfügen. Bisher war es ein unkompliziertes Nebeneinander.

Weil am Montag ein CNN-Reporter live per Twitter von den dramatischen Szenen auf der Fähre berichtete, konnte ein Millionenpublikum verfolgen, wie 119 Menschen das rettende Boot wieder verlassen mussten und die US-Regierung adhoc ihre Migrationspolitik änderte - und damit öffentlich ein Zeichen sandte. Der US-Grenzschutz behauptete später, das sei nicht so gemeint gewesen, quasi ein Missverständnis. Am Donnerstag machte die Regierung von US-Präsident Donald Trump die »Ad-Hoc-Fährpolitik« dann aber offiziell. Die Vereinigten Staaten würden von Hurrikan Dorian betroffenen Einwohnern der Bahamas keinen »Temporary Protected Status« geben, erklärte das Weiße Haus. Parlamentarier aus Florida hatten zuvor die Regierung ersucht, den Betroffenen den temporären Immigrationsstatus zuzusprechen. Die US-Regierung erklärte, man wolle stattdessen Hilfe vor Ort in den Bahamas leisten.

Dort sind derzeit rund 70 000 Menschen obdachlos, weil der Hurrikan viele Häuser fast komplett zerstört hat. US-Präsident Donald Trump machte am Montag deutlich, dass er nicht will, dass die schwarzen Einwohner der Bahamas in die USA kommen. Auf den Inseln gebe es »sehr schlechte Menschen« und »Drogendealer«. Bisher haben die USA nach Naturkatastrophen immer wieder viele Flüchtlinge aufgenommen, etwa 2010 nach dem Erdbeben in Haiti. Rund 300 000 Menschen aus zehn Ländern leben derzeit unter dem »temporären Schutzstatus« in den USA, während ihre Länder wieder aufgebaut werden.

»Öko-Apartheid« nennt der Soziologie-Professor Daniel Aldana Cohen von der University of Pennsylvania Trumps Entscheidung. Den Begriff hatte er zuvor im linken Magazin »The Nation« definiert als Regime von »grüner Infrastruktur und kühlender Natur« für wohlhabende Weiße in den USA auf der einen Seite sowie schlechtere Infrastruktur, mehr Hitze für Arme und Nichtweiße in den Vereinigten Staaten und weltweit.

Aktivisten und Forscher weisen immer wieder darauf hin, dass wohlhabende weiße Nationen wie die USA und wenige große Unternehmen für einen Großteil der CO2-Emissionen und die Klimakrise verantwortlich sind, gleichzeitig aber der globale Süden und ärmere Nichtweiße stärker unter ihr leiden. Nun haben die USA die Zugbrücken also ganz offiziell hochgezogen und in der Stadt Freeport auf der Insel Grand Bahama Klimaflüchtlinge praktisch vom Boot gestoßen. »Wenn das Norweger wären, wäre das nicht passiert«, kritisierte der demokratische Präsidentschaftskandidat Beto O’Rourke auf Twitter die Entscheidung der Trump-Regierung.

Schon nach Hurrikan Maria 2017 und der systematischen Vernachlässigung des US-Außengebiets bei der Katastrophenhilfe und beim Wiederaufbau waren mehr als 130 000 Menschen aus dem US-Überseegebiet Puerto Rico nach Florida und in die USA migriert. In diesem Fall wurden keine Visa benötigt, weil Einwohner der Tropeninsel die US-Staatsangehörigkeit haben. Ein wahrscheinlicher Grund für Trumps Ablehnung weiterer Klimaflüchtlinge: Sie werden vermutlich bleiben. In den USA finden viele »Naturkatastrophen-Migranten« bessere berufliche Perspektiven und Arbeit. Außerdem dauert der Wiederaufbau ihrer Heimat oft Jahre. Weil viele Schwarze und Latinos - darunter auch die neueren Ankömmlinge aus Haiti und Puerto Rico - überwiegend die Demokraten wählen, haben Trumps Republikaner auch wahltaktisch kein Interesse an Zehntausenden neuen schwarzen Migranten, von denen sich vermutlich viele im bei Präsidentschaftswahlen einflussreichen Florida niederlassen würden.

Im Gegensatz zu den USA hat Guyana angeboten, alle Hurrikan-Opfer aus den Bahamas aufzunehmen. Der englischsprachige Staat im Norden von Südamerika erklärte, »alle mit offenen Armen willkommen zu heißen«. Das Land habe »genug Platz« und sei nicht von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Hurrikans betroffen, erklärte Finanzminister Winston Jordan. Und er sprach eine mögliche Konsequenz der Klimakrise an. Vielleicht müssten Gebiete wie die Bahamas permanent »aufgegeben werden«.

In dieses apokalyptische Zukunftsszenario passt eine weitere Schreckensnachricht: Dorian hat auch die Ölterminals im Hafen von Freeport beschädigt. 1,8 Millionen Barrel à 159 Liter lagerten dort zum Zeitpunkt des Orkans. Wie viel Öl austrat, ist derzeit unbekannt. Doch in den vergangenen Tagen wurden Küstenorte auf den Bahamas durch ausgetretenes Erdöl verschmutzt, die 80 Kilometer vom Terminal entfernt liegen.

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