»Unsere Träume passen nicht in Eure Urnen!«

Keiner der fünf in Algerien zugelassenen Präsidentschaftskandidaten entstammt der Protestbewegung

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 4 Min.

Algerien unternimmt am 12. Dezember den dritten Anlauf in diesem Jahr, Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Im April war die Wahl zu einem fünften Mandat des inzwischen gestürzten Präsidenten Abdelaziz Bouteflika unter dem Druck der Straße annulliert worden. Im Juli musste ein zweiter Versuch mangels Kandidaten abgesagt werden. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung auch diesmal die Abstimmung ablehnt, hält der Generalstab der Armee an dem Urnengang fest und hat fünf Kandidaten ins Rennen geschickt.

Keiner der fünf zugelassenen Präsidentschaftskandidaten entstammt der Protestbewegung. Alle Bewerber hatten in der Vergangenheit hohe Posten im Staatsapparat oder in der Regierungspartei als Premierminister, Minister oder Parlamentsabgeordneter inne. Die seit Februar anhaltende Protestbewegung fordert stattdessen einen radikalen Bruch mit dem alten System, dem sie Korruption und Vetternwirtschaft vorwirft und verlangt nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dafür gehen dienstags und freitags in Algier und vielen anderen Städten des Landes Hunderttausende friedlich auf die Straße.

Während der dreiwöchigen Wahlkampagne versuchten einige Kandidaten mit Versprechen, auf die Forderungen der Bevölkerung einzugehen, die Wähler für sich zu gewinnen. Ein Kandidat aus dem islamistischen Lager kündigte an, jedem, der den Koran frei rezitieren kann, automatisch das Abitur zuzuerkennen und alle ledigen Mädchen zu verheiraten. Die Versprechen kamen nicht gut an. Stattdessen bekamen die Bewerber um das höchste Staatsamt vielmehr massive Kritik zu spüren. Bei Meetings blieben die Säle meist halb leer. Vielerorts mussten die Kandidaten von der Polizei vor der aufgebrachten Menge geschützt werden. Die wenigen Wahlplakate wurden zerkratzt und an den dafür vorgesehenen leergebliebenen Aufstellern Müllbeutel aufgehängt. Der Zorn der Bevölkerung wurde noch zusätzlich angefacht, als der Innenminister vor wenigen Tagen die Protestierenden als »Pseudo-Algerier«, »Perverse«, »Verräter« und »Homosexuelle« beschimpfte. »Jeder Homosexuelle hat mehr Würde als dieser Minister, der sofort zurücktreten müsste«, schimpfte ein 65-jähriger Demonstrant am vergangenen Freitag in Algier. »Ich werde nicht wählen. Diese Wahlen sind weder transparent noch fair. Die Bevölkerung wird eine solche Maskerade nicht unterstützen.« Ein junger Mann Anfang 20 pflichtete ihm bei. »Die fünf Kandidaten sind allesamt aus dem alten System. Die wollen wir nicht«, sagt er. Eine ältere Frau fügt hinzu: »Auch ich gehe nicht zur Wahl. Dieses Regime hat Blut an den Händen. Sie haben das Land ausgeplündert und sich bereichert. Aber der Armeechef stellt sich taub und will uns nicht hören.« Dieser hatte vor wenigen Tagen angedroht, gegen die Gegner der Abstimmung vorgehen zu wollen.

»Eine offene Konfrontation ist nicht auszuschließen«
Der algerische Publizist Moustapha Hammouche über die Friedfertigkeit der Protestbewegung und ein repressives Regime

Am Montag trieb die Polizei gewaltsam eine Studentendemonstration im Zentrum Algiers auseinander. Nach Angaben der Algerischen Liga für Menschenrechte sitzen derzeit landesweit mehr als 100 Menschen wegen ihrer Teilnahme an Protestmärschen im Gefängnis. Seit Wochenbeginn sollen viele von ihnen aus Protest gegen die Wahl in einen Hungerstreik getreten sein.

Unterdessen verurteilte ein Gericht in Algier am Dienstag die ehemaligen Regierungschefs Ahmed Ouyahia und Abdelmalek Sellal zu 15 und zwölf Jahren Gefängnis. Sie wurden der Korruption und des Amtsmissbrauchs für schuldig befunden. Auch mehrere einstige Minister wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

»Wenige Tage vor der Präsidentenwahl versuchen die Machthaber, die Bevölkerung für sich zu gewinnen und dazu zu bewegen, ihre Stimme abzugeben«, reagierte ein Hauptstädter um die 40 auf die Nachricht. Zeitgleich trugen in Algier erneut Tausende Menschen, vor allem Studierende, ihre Ablehnung der Wahl auf die Straße. »Ich möchte einfach mein Leben gestalten, ohne ständig bevormundet zu werden. Ich bin jung und voller Energie und Tatendrang. Lasst mich Euch zeigen, was ich drauf habe und nicht schon vorher als Loser abgestempelt werden«, begründet ein 23-jähriger Student seinen Protest. Ein Gleichaltriger stimmt ihm zu: »Wir wollen leben, arbeiten, Spaß haben, unsere Meinung sagen, gesehen werden. Aber stattdessen rennen wir ständig gegen Mauern. Diese Führung aus alten Männern will keine Veränderungen. Es gibt keine Unterstützung, keine Orte für uns. Wir stecken fest zwischen ständiger Bevormundung und religiösen Verboten«, sagte er, bevor er sich neben einer Gruppe von Student*innen wieder in den Zug einreiht. »Keine Wahl mit den Verbrecherbanden«, rufen sie aus vollem Hals. Eine von ihnen hält dabei ein Plakat hoch mit der Aufschrift: »Unsere Träume passen nicht in Eure Urnen«.

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