Die Scheuer aus’m Landwirtschaftsministerium

Julia Klöckner hat sich nicht den Wählern sondern der Industrie verpflichtet - Ihr Krisenmanagement erinnert an das von ihrem Kollegen aus dem Verkehrsministerium

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Mozzarella von Aldi Nord sind Plastikteilchen hineingeraten. Nein, auch wenn dieser Industriekäse grundsätzlich eine Konsistenz von Weich-PVC oder anderen Elastomeren aufweist: Plastikteilchen gehören dann doch nicht in die weiße Kugel. Daher der Aufruf an die Kundschaft: Zurückbringen! Das neue Jahr geht bisher genau so los wie das alte aufgehört hat: Mit Lebensmittelrückrufen.

Ob nun bei Fisch, Fleisch- und Geflügelerzeugnissen, Milchprodukten oder Backwaren: Überall stieg die Quote. Der Hersteller »Wilke« soll indes nach neuesten Berichten sogar über Jahre verdorbene Wurst verkauft haben. Da das zunächst unentdeckt blieb, entlastete das die Rückrufquote der vergangenen Jahre natürlich ein wenig.

Wir haben es im Lebensmittelsektor mit einer Krise zu tun, die durchaus vergleichbar ist mit dem Diesel-Skandal. Nur halt ohne Software und Feinstaub. In puncto Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit gleichen sich diese beiden Geschichten aber schon. Und auch die politische Verarbeitung beider Krisenherde ähnelt sich. Man rudert zurück, ergreift keine Maßnahmen und lässt die Industrie halt mal machen.

Klöckner vertraut in die Industrie

Verbraucher- und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner verfällt jedenfalls nicht in Panik. Seit Jahren predigt sie, dass freiwillige Selbstkontrolle die beste Maßnahme ist, die die Politik empfehlen könne. Kontrollen seien gut, Vertrauen aber besser. Doch so richtig überzeugt ist sie von den Lebensmittelkontrollen dann auch wieder nicht, daher wäre es für sie kein Problem, wenn es weniger davon gäbe. Zumal ohnehin jede dritte Kontrolle wegen Personalmangels ausfalle – statt personeller Aufstockung rät die Ministerin aber, den Kontrollplan abzuspecken.

Lesen Sie hier: Nestlé-Lobbyistin. Warum Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit einem Video für Aufsehen sorgt.

Rückzug auf aberwitzige, manche würden sagen, ideologisch untermauerte Thesen, Lavieren und Schönreden und dabei eine Imitation von Kompetenz abliefern: Das kennen wir doch aus einem anderen Ministerium. Aus dem Autoministerium nämlich. Das heißt ja eigentlich Verkehrsministerium – schwer zu glauben. So wie sich Minister Andreas Scheuer gibt, kann man nicht glauben, dass er für alle Verkehrsteilnehmer zuständig sein soll.

Scheuer und Klöckner dienen Lobbyisten, nicht Wählern

Wie Scheuer den Diesel-Skandal gewuppt hat, das war beispielhaft – so hätte er jeden Lebensmittelskandal zu einer dummen Panne kleingeredet. Wäre der BSE-Skandal in seine Amtszeit und in sein Ressort gefallen: Unsere Rinder würden noch immer Tiermehl fressen - aber wir hätten trotzdem die Gewissheit, dass alles in bester Ordnung ist, weil da einer alles dransetzen würde, auf einem Elektroroller stehend das Vertrauen in die Branche zu erstreiten. Eben ganz so, wie es Frau Ministerin auch tut – man könnte sagen, Julia Klöckner ist die Andy Scheuer des Landwirtschaftsministeriums.

Beide sind Vertreter eines neuen politischen Typus. Sie haben sich nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet, sondern der Industrie. Das ist nicht ganz neu, solcher Politiker gab es schon immer. Aber sie sind die ersten Vertreter eines politischen Selbstbewusstseins, dass eben nicht zwischen Gemeinwesen und Partikularinteressen balanciert und Objektivität vorgaukelt, sondern ganz klar für die letztere Auswahlmöglichkeit Position einnimmt und damit zum Lobbyistenpolitiker wird. Zum mit Amtseid ausgestatteten Vertreter einer Branche, der keinen Zweifel aufkommen lässt, was seine Aufgabe ist und was nicht.

Lesen Sie hier: Auf den Spuren der Macht. Mit Stadtführungen im Regierungsviertel macht eine NGO auf ihre Anliegen aufmerksam.

Auf dem Weg zur marktkonformen Demokratie

So spart sich die Industrie natürlich auch dieses müßige Vorgehen, Leute anzuheuern, die Politiker dann besuchen müssen, um sie von den Überzeugungen ihrer Dienstherren in Kenntnis zu setzen. Der Lobbyist im Amt ist der direkte Weg, man kann ihn direkt in der politischen Schaltzentrale anrufen, es gibt keine Umwege mehr. Ministerien werden quasi zu Abteilungen des Industriezweiges, zu PR-Sparten mit Entscheidungsgewalt. Marktkonforme Demokratie ist dann erreicht, wenn Minister als Abteilungsleiter fungieren.

Wenn beim nächsten Lebensmittelskandal die Verbraucherministerin erklärt, dass vielleicht zu viele Lebensmittelkontrollen all diese Probleme verursachen, bitte nicht wundern: Lobbyisten werden dafür bezahlt, die Leute mit unsinnigen Einwürfen zu verwirren. Die Industrie hat einfach alles im Griff – nur die Herstellung ihrer Produkte leider nicht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: Der Heppenheimer Hiob