Drei Tage danach

Tausende Menschen erinnerten am Samstag an die rassistischen Morde von Hanau.

Ein Kiosk in der Nähe des Hanauer Heumarktes verkauft Blumen. Ein lukratives Geschäft oder wie es der Mann hinter der Theke sagt, »Respekt vor den Toten«. Die hessische Stadt wird seit der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bestimmt von dem rassistischen Anschlag, den Tobias R. verübt hat. An zwei Orten in seiner Heimatstadt hat er zugeschlagen. Migranten waren sein Ziel. Vor der Shisha-Bar am Heumarkt, in der R. mordete, hat die Polizei die Straße gesperrt. Auf den Bürgersteigen stapeln sich Blumen, Kerzen und Trauerbotschaften. »Respekt! - Keinen Platz für Rassismus« steht auf einem Schild. Darüber hängt ein T-Shirt mit dem islamischen Halbmond. Nur einige Meter entfernt vom Tatort befindet sich der Hanauer Marktplatz. An einem Stand für Obst und Gemüse geht ein älterer deutscher Mann auf die Kopftuch tragende Verkäuferin zu. Er sagt: »Sonst stehen wir alleine, jetzt müssen wir zusammenstehen!« Beide umarmen sich. In vielen Geschäften in der Innenstadt liegen schlecht kopierte Flyer, die zur Demonstration am Samstag aufrufen.

Sagt ihre Namen, fordern viele! Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin,, Hamza Kurtović, Said Nesar El Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Vili Viorel Păun, das Opfer, dessen Identität noch unbekannt ist und Frau R., die ermordete Mutter des Täters, sie sollen im Mittelpunkt der bundesweiten Gedenkdemonstration stehen. Es sei genug über den Täter und seine Gedankengänge gesprochen worden, heißt es. »Say their Name« steht auf vielen Schildern, die die Demonstranten bei sich haben. Sie sollen nicht vergessen werden, das ist eine der zentralen Anliegen, von tausenden Menschen, die sich am Mittag auf dem Freiheitsplatz im Zentrum von Hanau versammelt haben. Die Demonstration, sie ist untypisch für eine Großdemonstration. Es sind nicht Politiker und Verbandsfunktionäre, die hier sprechen. Sondern Menschen, die selbst rechte Anschläge erlebt haben oder sich in Initiativen für die Aufarbeitung von Nazi-Terror einsetzen. Wie die Initiative »Kein Schlussstrich«, die fordert, dass die Aufarbeitung des NSU-Komplexes weitergeht. Eine Sprecherin verliest Grüße von mehreren NSU-Opfer-Angehörigen, die ihre Worte an Freunde und Angehörige des Attentats von Hanau richteten. Oder Ferat Ali Kocak aus Berlin-Neukölln, auf dessen Auto es einen Brandanschlag gab. Kocak spricht darüber, wie mit jedem Anschlag seine Angst steigt. Rassismus sei in Deutschland allgegenwärtig. Er findet auch, dass man es sich bei der Schuldzuschreibung nicht zu einfach machen darf. Eine Politik, die Menschen im Mittelmeer »ersaufen« lasse, in Lager sperre oder immer schnellere Abschiebungen fordere, sei für das Klima verantwortlich, in denen Menschen wie der Attentäter von Hanau zur Tat schreiten.

Ähnlich hört sich auch an, was Newroz Duman vom Bündnis »We'll come united« fordert. Duman führt durch die Kundgebung in der Hanauer Innenstadt. Sie ist sichtbar wütend. Ihrem Bündnis reichen Trauer und Mitleidsbekundungen nicht aus. Behörden, Schulen, Ämter, Parteien und Parlamente müssten von Nazis und Rassisten »entkernt« werden. Racial Profiling und die Kriminalisierung von Orten an denen migrantische Jugendliche ihre Zeit verbringen, wie Shisha-Bars, müssten ein Ende haben. Von der Bundesregierung fordert »We'll come united« einen Fonds für eine angemessene Entschädigung von Opfern rechter Gewalt und die dauerhafte Finanzierung von Antirassismus-Projekten.

Während der Reden auf der Bühne hören tausende Menschen zu, bei manchem Freund oder Angehörigen der Opfer von Hanau fließen Tränen. Die emotionalen Schilderungen treffen immer wieder den richtigen Ton. Doch geeint ist das Gedenken an diesem Samstag in Hanau nicht. Anhänger einer Jugendorganisation aus dem türkisch-nationalistischen Spektrum halten auf dem Hanauer Marktplatz, eine eigene, sehr kleine, Mahnwache für die Opfer des Anschlags ab. »Alle zusammen…« bleibt auch drei Tage nach dem Anschlag von Hanau ein frommer Wunsch.

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