Zocken für die Solidarität

Waldhofs eSportler spielen die Saison von Mannheims Fußballern virtuell zu Ende - und spenden die Einnahmen

  • Michael Wilkening, Mannheim
  • Lesedauer: 4 Min.

Manchmal ist das Symbol wichtiger als die Wirkung. Deshalb glaubt Marco Popiuk daran, etwas von besonderer Relevanz vorzubereiten. Das öffentliche Leben in Deutschland ist nahezu zusammengebrochen, und auch der Fußball liegt seit vielen Tagen brach. Die schlechten Nachrichten befinden sich in erdrückender Überzahl zu den guten. Da hat Popiuk mit seinen Mitstreitern eine Idee entwickelt, die immer mehr Befürworter findet - und selbst beim größten Rivalen positive Resonanz gefunden hat. »Mir haben Leute aus Kaiserslautern geschrieben, dass sie die Idee super finden und am Freitag zuschauen wollen«, sagt der Leiter der eSport-Abteilung des SV Waldhof Mannheim.

Den SVW und den 1. FC Kaiserslautern verbindet eine lange und tiefe Feindschaft, die sich auch schon häufig in großem Hass offenbart hat. Doch die Idee der Mannheimer hat selbst beim Rivalen aus der Pfalz für Solidarität gesorgt. Popiuk hatte angekündigt, an diesem Freitag die derzeit unterbrochene Saison in der dritten Fußballliga virtuell zu Ende spielen zu wollen. Der Verein verkauft auch virtuelle Tickets fürs Carl-Benz-Stadion, die zwischen einem und 100 Euro kosten.

Geplant ist Folgendes: Auf der Konsole werden die Drittligamatches mit dem Videospiel »FIFA 20« nachgespielt. Die Einnahmen werden zu einem Drittel unter allen Drittligisten aufgeteilt, ein Drittel geht als Spende an die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mit dem restlichen Geld sollen die entstandenen Kosten gedeckt werden. Der Anstoß für die Aktion kam von Markus Kompp, Geschäftsführer des SV Waldhof Mannheim. Entscheidend vorangebracht wurde sie anschließend von ihm und dem 24-jährigen Popiuk.

Mehr als 350 Tickets haben die Mannheimer bislang verkauft, wie Pressesprecher Domenico Marinese dem »nd« am Donnerstag erzählte. Die Aktion wurde ursprünglich mit dem Wunsch verknüpft, ein »virtuell ausverkauftes« Carl-Benz-Stadion haben zu können, aber schon da war klar, dass dies ein Wunschtraum bleiben würde. Allerdings steckt hinter der Aktion ja ohnehin die Absicht, in tristen Zeiten Träumereien zu erlauben. Ganz konkret wird es an diesem Freitag um 18.30 Uhr - dann erfolgt der erste Anstoß, per Livestream können die Aktionen der Konsolenspieler verfolgt werden.

Immense Summen werden letztlich nicht zusammenkommen, aber das ist auch nicht entscheidend, um später von einer erfolgreichen Veranstaltung sprechen zu können. »Wir wollen den Solidaritätsgedanken transportieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass sich Fans an den Matches erfreuen können«, erklärt Popiuk. In der tristen Zeit können Fans auf dem Sofa etwas Fußballatmosphäre erleben: Die Partien werden im Livestream von Mannheimer Kommentatoren begleitet.

Weil eSport online gespielt werden kann, ist die stark wachsende Nische nicht in vollem Ausmaß von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Die offline ausgerichteten großen Turniere, bei denen die besten Gamer Preisgelder bis zu 100 000 Euro gewinnen können, sind wie der reale Sport abgesagt, die Möglichkeit des Online-Spielens sorgt aber für einen Rest an Normalität. Vor allem in Asien ist eSport überaus populär, aber auch in Europa ziehen die großen Turniere Tausende Zuschauer an. Aus dem Schatten des Fußballs auf dem Rasen sind Popiuk und seine Kollegen bislang aber noch nicht getreten. Vielleicht bietet sich in der Krise für sie sogar die Chance, ein paar Anhänger hinzuzugewinnen.

»Wir wollen an diesem Abend alle Partien des SVW spielen«, erklärt Popiuk. Gestartet wird mit dem Spiel des SV Waldhof gegen KFC Uerdingen, das letzte wird das gegen den FSV Zwickau sein. Bis zuletzt suchte Popiuk nach realen Gegnern für die insgesamt elf Spiele des SVW - eben genau so viele, wie Mannheims Fußballer in der Drittligasaison noch auszutragen hätten.

Bei der SpVgg Unterhaching ist Popiuk schnell fündig geworden, der Drittligist aus Bayern hat auch eine kleine eSport-Abteilung - das Match für diesen Freitag ist längst abgesprochen. »Wir haben Kontakt zu einigen Klubs aufgenommen, ob sie einen Spieler stellen können«, berichtet Popiuk. Gefunden haben die Mannheimer auch einen Gegner aus Chemnitz, doch weil der SVW bereits zwei Mal in dieser Saison gegen den CFC in der realen Welt gespielt hat, ist das Duell gegen den Chemnitzer Gamer »nur« ein Vorbereitungsmatch. Spätestens zum Anstoß um 18.30 Uhr wird man wissen, wie viele Partien gegen ein reales Gegenüber stattfinden werden. Gibt es keinen menschlichen Gegner, spielen die Mannheimer gegen die Computerversion des Kontrahenten - so wie es voraussichtlich gegen die Ostklubs aus Rostock, Halle und Zwickau der Fall sein wird.

Im Vorfeld wird noch an einer Möglichkeit gearbeitet, die komplette Saison der dritten Liga, und nicht nur die elf Partien der Mannheimer, über »FIFA 20« zu simulieren. Das würde die Spannung erhöhen. »Es geht uns ja nicht darum, dass der Waldhof am Ende mit 20 Punkten Vorsprung virtuell Meister wird«, sagt Popiuk: »Wir wollen für Abwechslung und Freude bei Fans sorgen, denen der Fußball fehlt.« Wie das virtuelle Ende der Saison möglicherweise aussehen kann, möchte Popiuk nicht prognostizieren, aber für das erste Spiel gegen den KFC Uerdingen wagt er einen Tipp: »Ich gehe da mal von einem klaren 3:0 für den Waldhof aus.«

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