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»Ein katastrophaler Zustand«

Matthias Höhn (Linke) kritisiert das Beraterwesen und die Schlüsse der Koalition aus dem Untersuchungsausschuss

Der Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. In welchem Zeitraum lief der Untersuchungsausschuss?

2018 wurden mehrere Berichte des Bundesrechnungshofes öffentlich. Anfang 2019 haben FDP, Grüne und wir dann einen Untersuchungsausschuss einsetzen müssen, da das Ministerium nicht willens war, auf anderem Wege ausreichend Transparenz herzustellen.

Matthias Höhn
Mit dem Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages Matthias Höhn sprach Daniel Lücking über den abgeschlossenen Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium.

Ursula von der Leyen stand sehr in der Kritik, hauptsächlich Berater beschäftigt zu haben, die irgendwie mit ihr verbandelt waren. Dennoch konnte man ihr nichts anlasten?

Natürlich ist es so, dass eine Ministerin oder ein Minister in den seltensten Fällen Aufträge an konkrete Firmen persönlich zeichnet, das passiert auf anderen Ebenen. Bei einer Ministerin geht es um die politische Verantwortung für das, was in ihrem Haus vor sich geht. Es war ihre Entscheidung, Katrin Suder als Staatssekretärin von McKinsey zu holen. Und mit Suder kam dann eine ganze Heerschar an Beratern und sehr viele davon haben sich schon über Jahre persönlich gekannt oder waren sogar befreundet.

Hätte man Frau von der Leyen die politische Verantwortung anders vorhalten müssen?

Das tun wir in unserem Minderheitsvotum im Abschlussbericht sehr konsequent. Wir haben ermittelt, dass sich die Berater darauf verlassen konnten, dass von der Hausspitze ihr Wirken ausdrücklich gewollt war. Und so haben sie sich dann auch benommen. Ursula von der Leyen hat diese Kultur ins Haus gebracht und dass die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer schon vor Monaten angekündigt hat, genau damit wieder Schluss zu machen, spricht Bände.

Wie hat die Bundeswehr begründet, diese Berater zu brauchen?

Die Bundeswehr und das BMVg waren in keinem guten Zustand, als von der Leyen Ministerin geworden ist. Leider waren sie fünf Jahre später in keinem besseren Zustand. Das BMVg erstickt in Bürokratie und Lobbyismus. Wir haben eine Hand voll Rüstungsunternehmen, die regelmäßig Verträge zu für den Steuerzahler miesen Konditionen abgreifen. Diese festgefahrene Situation sollten angeblich die Berater aufbrechen. Das gelang aber nicht. Statt ausschließlich Rüstungsfirmen verdienten nun auch Beraterfirmen gutes Geld. Die Zahl der Rüstungsprojekte stieg massiv an. Die Abläufe sind dabei aber nicht besser, schlanker oder transparenter geworden, sondern es wurde schlicht mehr Geld in diese Prozesse gesteckt. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr ist immer noch in einem katastrophalen Zustand. Es gibt fast kein größeres Rüstungsprojekt, was im Zeitrahmen oder im Kostenplan liegt.

Wie kann das Beraterwesen ihrer Ansicht nach in einem vertretbaren Umfang gehalten werden?

Es braucht wieder eine auskömmliche personelle Ausstattung des öffentlichen Dienstes und der Verwaltung. Die privaten Unternehmen sind sehr oft in die Lücke gestoßen, die durch die Personalkürzungen der letzten Jahrzehnte verursacht wurden. Im Beschaffungsamt der Bundeswehr beispielsweise sind seit Jahren etwa 20 Prozent der Stellen nicht besetzt. Wenn in dieser Situation gleichzeitig die Zahl der Rüstungsprojekte massiv erhöht wird, dann wird es natürlich eng. Die Verwaltung muss insgesamt personell wieder so ausgestattet werden, dass die Beamtinnen und Beamten auch eine Chance haben, die Arbeit zu schaffen. Das ist auch eine grundsätzliche Frage der Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen. Ganz besonders bei hoheitliche Aufgaben.

Was war für sie die gravierendste Erkenntnis im Ausschuss?

Es war erschreckend, mit welcher Ignoranz und Kaltschnäuzigkeit sowohl Führungspersonen aus dem Ministerium, als auch Firmenvertreter darüber hinweg gingen, dass sie dicke Kumpel sind. Es gab Taufpaten bei den Kindern, gemeinsame Essen und Wochenenden während man gleichzeitig dicke Geschäfte machte. Im Ausschuss taten diese Zeugen dann so, als sei das kein Problem.

Wie sahen die beanstandeten Geschäfte aus?

Der Bundesrechnungshof hat allein bei der Stichprobe 2018 unter den Verträgen des Verteidigungsministerium 80 Prozent an fehlerhaften Vorgängen gefunden. Da wurden bewusst Regeln umgangen und bestehende Rahmenverträge genutzt, die mit der Sache nichts zu tun hatten. Nicht alle im Verteidigungsministerium haben darüber geschwiegen. In manchen Projekten haben Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass das problematisch ist. Dann aber gab es Druck von oben aus Bonn und Berlin, dass die Wünsche der Staatssekretärin oder des Abteilungsleiters so umzusetzen seien.

Wie wurde der Ausschuss auf den Interessenkonflikt aufmerksam?

In den Berichten des Bundesrechnungshofes gab es Hinweise, dass das BMVg Gefahr lief, sich von einzelnen Unternehmen abhängig zu machen. Das ist schon ein Indiz dafür, dass man dort nachhaken muss. Viele Hinweise kamen in den letzten Jahren aber auch aus den Medien. So konnten wir sehr konkret nach Bekanntschaften fragen. Die Schutzbehauptung der Zeugen - »wir haben Privates und Geschäftliches immer getrennt« - wird aber unglaubwürdig, wenn man sieht, dass dabei in der Masse rechtswidrige Verträge zustande kamen.

Wie behandelten die Regierungsparteien das Thema?

Die Union hat im Untersuchungsausschuss gezeigt, dass sie ihre Fragezeit sehr oft gar nicht sinnvoll füllen konnte. Zeugen wurden langwierig befragt. In einem Fall ging es um ein rein privates ehrenamtliches Engagement, das mit dem Thema nichts zu tun hatte. Bei der SPD gab es eine erkennbare Aufklärungslinie in den Sitzungen. Leider ist davon aber nicht viel im Mehrheitsvotum übrig geblieben. Das ist das Schicksal in solchen Koalitionen. Der Union ging es darum, ihre obere Ebene zu schonen. Das merkt man dem Abschlussbericht an.

Was muss sich ändern, damit solche Ausschüsse effektiver werden?

Dem Untersuchungsausschuss fehlten wesentliche Inhalte. Vor allem beim Thema Diensthandys. In den über 4500 Aktenordnern, die uns zur Verfügung gestellt worden sind, hat sich nicht eine einzige SMS befunden. Kurznachrichten zählen aber genauso wie E-Mails zu den Beweisbeschlüssen und müssen vorgelegt werden. Es ist unglaubwürdig, dass kein Staatssekretär und kein Abteilungsleiter im Untersuchungszeitraum eine SMS mit Bezug zum Thema versendet haben will. Der Untersuchungsausschuss hat da keine Handhabe. Das muss dringend geregelt werden. Ein anderes Problem ist das System der Berliner Stunde. Als kleine Fraktion haben wir pro Sitzungsstunde nur sechs Minuten Frage- und Antwortzeit. Da lässt sich nur schwer eine zusammenhängende und effektive Befragung machen.

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