Gigant der Biotechnologie

Von Reinhard Renneberg , Merseburg

  • Reinhard Renneberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum habe ich mich vom Verlust meines japanischen Meisters Tanaka erholt, kommt eine traurige Nachricht aus den USA: Der große alte Mann der industriellen Biotechnologie, Arnold Demain, ist im Corona-Hexenkessel New York 92-jährig gestorben.

Arnys Großeltern waren einst aus Österreich-Ungarn immigriert, er selbst wurde 1927 in Brooklyn geboren, kurz vor der Weltwirtschaftskrise. Der hochintelligente Knabe musste wegen Wohnungsumzügen achtmal die Schule wechseln, half als Austräger von Gemüse der Familie zu überleben. Zwei Cent pro Lieferung und ab und an fünf Cent Trinkgeld. Das prägt! Er sagte mir später, da habe er sich das erste Mal für saure Gurken interessieren müssen. Mit 16 brachte ihn sein Dad persönlich zu Professor Fabian am State College von Michigan. Warum? Papa Henry produzierte saure Gurken und Fabian war der Saure-Gurken-Papst der USA! Arnys Diplomthema war - wen wundert’s - das Weichwerden von sauren Gurken durch Mikrobenbefall.

Wenige Monate vor dem 18. Geburtstag, im Februar 1945, meldete sich Arny freiwillig zum Militär und kehrte 1947 mit den Siegern heim. Im Sommer fuhr er quer durch die Staaten, sammelte Gurken und traf seine spätere Frau Jody - sinnigerweise beim Gurkenverkosten! Zusammen bewarben sie sich 1950 an der renommierten University of California in Berkeley. Arny betreute dort die berühmte Sammlung von Hefestämmen, den Arbeitstieren der Biotechnologen. Ungewöhnlich für einen Doktoranden: »Nature« publizierte seinen Artikel zu Enzymen, die Pektine abbauen, die Pectinasen. Die nämlich machen die Gurken weich!

Mit dem Beginn der industriellen Penizillinproduktion ging Arny zielstrebig zur Firma Merck Sharp & Dohme nach Rahway im Staat New Jersey. Besonders die Cephalosporine, Geschwister des Penicillins, interessierten ihn. Im Fermentationslabor von Merck fand er ertragreichere Verfahren zur Herstellung von Glutamat mit Corynebakterien und zur Produktion der Vitamine B12 und B2. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) bot Arny eine Professur an. Am MIT eine neue Entdeckung: ein Pilz, der Zellulose zu Glucose abbaut, Ausgangsstoff für Bioethanol. Schließlich in den Kosmos! Wie verhalten sich Mikroben in der Schwerelosigkeit?

Nach Gründung der erste Biotech-Firma der Welt, Cetus, in Berkeley, war Arny auch als deren Berater tätig. Bei Cetus entwickelte später Kary Mullis die folgenreiche Polymerase-Kettenreaktion (PCR).

Und woher kannte ich den Biotech-Titanen? Als ich einen fachkundigen US-Herausgeber für mein Biotech-Lehrbuch suchte, schickte ich ihm mein deutsches Buch und eine Anfrage, jedoch ohne viel Hoffnung. Einen Monat später bekam ich eine E-Mail: »Feel very honored and humbled. Your new friend Arny«.

Stets zitierte er Sprüche berühmter Biotechnologen, am liebsten von Louis Pasteur. Er wird sicherlich im Biotechnologen-Himmel über unseren Ming-Cartoon schmunzeln.

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