Einsatz in vier Wänden

HEPPENHEIMER HIOB: Die Hinwendung zum Homeoffice ist Teil der pseudodemokratischen Harmoniekonstruktion der neuen Arbeitswelt

  • Roberto de Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Homeoffice hatte es vor Corona schwer. Ein Jahr bevor die Pandemie über uns hereinbrach, hatten die Sozialdemokraten mal ein bisschen was für die Heimarbeit übrig. Sie wollten sie als Arbeitnehmerrecht verbürgen. Jeder sollte die Möglichkeit haben, einige Tage ins Homeoffice zu gehen. Damals hatte ich mich an dieser Stelle darüber ausgelassen. Meine Einschätzung war, dass die Sozis mal wieder nur einen bestimmten Teil der arbeitenden Bevölkerung im Blick hatten.

Es sah letztlich mal wieder so aus, als hätten die Sozialdemokraten kein Bild von den wirklichen Abläufen am Arbeitsmarkt. Eine ganze Reihe von Berufsfeldern kann gar nicht von der heimischen Couch herunter werktätig sein. Zufälligerweise speziell jene Berufe, die sich jetzt im Zuge der Corona-Krise als besonders systemrelevant erwiesen haben. Überspitzt könnte man auch sagen: Die, die während der Zeit am Arbeitsplatz bleiben mussten, wurden wirklich gebraucht – die Entbehrlicheren machten Homeoffice.

Corona hat nun das Homeoffice etabliert. Große Unternehmen möchten es auch weiterhin ermöglichen, manche träumen gar davon, den ganzen Arbeitsalltag in die Wohnzimmer und Küchen ihrer Angestellten zu verlagern. Unter Umständen lässt sich so auch teure Infrastruktur einsparen. Dass ein Arbeitnehmer, der nicht mehr räumlich zwischen Arbeits- und Freizeit wechseln muss, ganz sicher auch zeitlich grenzenloser im Einsatz ist, dämmert vielen Homies aber jetzt schon.

Zwar legen aktuelle Studien zur Arbeit von zu Hause aus dar, dass ein Stressabbau stattfinde, die fehlende festgelegte Arbeitszeit aber als problematisch bis übergriffig wahrgenommen werde. Die räumliche Zentralisierung von jenem Ort, wo man entspannt, privat ist, sich um die schönen Dinge des eigenen Lebens kümmert und dem Platz, von wo aus man seinem Lohnerwerb nachgeht, entspricht durchaus einem Rückschritt in Zeiten, da man im eigenen Haus die Werkstatt hatte, von der man letztlich lebte.

Damals, so hätte Marx vermutlich eingewandt, wäre der Werktätige wenigstens noch einer nicht entfremdeten Arbeit nachgegangen, womit ein gewisser Bezug zwischen Geschäft und Privatheit bestanden hätte. So ein Bezug ist heute nicht mehr ohne Weiteres herstellbar. Der Einsatz in vier Wänden unterscheidet sich in Körperhaltung und Ablauf nicht wesentlich von einer überlangen Partie Candy Crush. Man hockt im Schneidersitz, klickt rum, starrt auf den Monitor.

Diese neue Errungenschaft, die dank Corona in unsere Arbeitswelt kam, ist mit großer Vorsicht zu begutachten. Sie spielt hinein in jene pseudodemokratischen Prozesse, die den Arbeitsmarkt seit einigen Jahren erfasst haben. Dort wurden Hierarchien vermeintlich abgeflacht, man setzt auf eine Betriebskultur, in der alle Mitarbeiter sind, ganz gleich ob stinknormaler Arbeitnehmer, leitender Angestellter oder Geschäftsführer. Das suggeriert, dass man an einem Strang zieht, blendet nebenbei die unterschiedlichen Interessenslagen der verschiedenen Gruppen aus und errichtet so mit Hilfe eines suggerierten Wir-Gefühls eine Harmoniekonstruktion.

Betriebsstrukturen sind bekanntlich nicht demokratisch organisiert. Die Arbeitswelt ist weiterhin eine autokratische Insel inmitten einer Gesellschaft, die sich als demokratisch wahrnimmt. Dort herrschen keine funktionierenden »Checks and Balances« – und was öffentlich als normal betrachtet wird, das Ringen um Kompromisse etwa, ist in den Unternehmen kein Thema. Hier wird durchregiert. Das Allgemeinwohl ist kein Index, der dort gilt. Die schöne neue Arbeitswelt, die mit ihrer Hierarchieverflachung und Duzkultur um die Ecke kommt, täuscht zuweilen darüber hinweg.

Das Homeoffice als neuster Clou reiht sich da ganz gut ein. Es wirkt wie ein Zugeständnis der Unternehmer, als ob sie plötzlich die Gesundheit ihrer Belegschaften, ja das Fürsorgeprinzip entdeckt hätten. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass eine neue digitale Kultur des heimischen Arbeitens Vorteile für die Unternehmen schafft. So lassen sich Büros verkleinern, Raum sparen und etwa der Kantinenbetrieb drosseln. Die Arbeitnehmer arbeiten unter Umständen sogar mehr als am Arbeitsplatz, weil der klassische Feierabend nicht mehr zeitlich festgesetzt ist. Die Synchronität von Frei- und Arbeitszeit löst die bekannten – und bewährten – Entitäten auf. Und das nicht zum Vorteil der Angestellten.

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Das alles wird künftig das Ärgernis von denen sein, die nicht ganz so dramatisch wichtige Aufgaben erfüllen, für Leute, die zum Beispiel für Siemens Armaturen bestellen oder Algorithmen für Facebook im Auge behalten müssen. Die anderen gehen wie immer an den Arbeitsplatz – so wie es immer war. Und - so darf man stark vermuten - wie es immer bleiben wird. Wer wichtig ist, kann nicht auf dem Sofa hocken.

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