Solidarität plus Verantwortung ist gleich Abschiebung

Kommission stellt Plan für neues EU-Asylsystem vor

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie gewohnt sind es hehre Prinzipien, auf die sich Ursula von der Leyen bei ihren öffentlichen Auftritten stützt. Die EU-Kommissionspräsidentin am Mittwoch in Brüssel: »Gemeinsam müssen wir zeigen, dass Europa Migration menschlich und effektiv managt.« Von der Leyen appellierte an die EU-Staaten, das am selben Tag von ihrer Kommission vorgestellte Konzept für ein gemeinsames Asylsystem zur Basis einer Einigung zu nehmen. Bis zum Jahresende, so hofft sie, möge dies gelingen - hierfür braucht sie die Zustimmung des EU-Parlaments wie der Mitgliedsstaaten. »Es ist an der Zeit, sich der Herausforderung zu stellen, Migration gemeinsam zu gestalten - mit der richtigen Balance von Solidarität und Verantwortung«, so von der Leyen.

Abseits der freiwilligen gegenseitigen Unterstützung der Länder sieht der Kommissionsplan nun einen sogenannten Mechanismus für verpflichtende Solidarität vor. Ausgelöst würde er von Staaten, die unter Druck geraten. Der EU-Kommission käme dann die Aufgabe zu, zu prüfen, wie viele Menschen dem Land abgenommen werden müssen. Alle EU-Länder wären zur Hilfe verpflichtet: Entweder, indem sie Flüchtlinge mit Aussicht auf einen Schutzstatus aufnähmen. Oder durch andere Unterstützung. Von der Leyens Plan sieht hier als Hilfe auch Abschiebungen vor. Im schlimmsten Fall einer »Krise« greift ein Mechanismus rigoroser Verpflichtung: Migranten werden aufgenommen, auch ohne Aussicht auf einen Schutzstatus, oder wiederum werden Abschiebungen als Währung der Hilfeleistung akzeptiert. Diese Abschiebung muss innerhalb von acht Monaten erfolgen. Gelingt das nicht, muss das Land sie selbst aufnehmen. Wie die Abschiebung von Menschen, die man nicht aufgenommen hat, praktisch funktionieren soll, durch finanzielle Unterstützung oder die Bereitstellung von Personal, blieb am Mittwoch zunächst offen. Die Rede war von »Abschiebe-Partnerschaften«. Ein »EU-Koordinator für Rückführungen« soll ernannt werden, der mit Fachleuten der EU-Staaten zusammenarbeitet.

Als Kern des Asylstreits in der Europäischen Union gilt immer wieder die Verteilungsfrage. Wie viele Schutzsuchende, die in den Außenländern der EU angekommen sind, werden von anderen EU-Ländern aufgenommen? Doch die Verteilung ist nur eine der offenen Fragen, und zum Knackpunkt ist sie geworden, weil ohne Klärung der Verteilung sich praktisch nichts bewegt.

Die eigentliche Kernfrage aber ist der Bestand des Asylrechts in der EU selbst, das für jedes seiner Mitgliedsländer gilt, nicht nur für die Staaten an den Außengrenzen. Jedes EU-Land muss deshalb den Anspruch ankommender Schutzsuchender nach Recht und Gesetz prüfen, entscheiden und die entsprechende Unterbringung gewährleisten.

Am Dublin-System allerdings, nach dem jener Staat für das Asylverfahren zuständig ist, dessen Boden der Schutzsuchende zuerst betritt, hält die EU-Kommission fest. Dieses hat allen Ländern in der »zweiten Reihe« den Vorwand geliefert, jede Verantwortung auf den »äußeren Ring« zu delegieren. Der Kommissionsplan sieht vor, den Außengrenzenschutz, unter anderem über die Grenzschutzagentur Frontex, aber auch durch neue Verträge mit Anrainerstaaten der EU und durch Nutzung des EU-Visumsystems, erneut zu verstärken. Ilva Johansson, Kommissarin für Inneres, kündigte einen fünftägigen, verpflichtenden »Screening«-Prozess für Migranten nach ihrer Ankunft an - mit polizeidienstlicher Registrierung und einer ersten Entscheidung über die Aussichten eines Asylanspruchs. Dies ist der Weg, den der deutsche Innenminister Horst Seehofer seit Jahren vertritt und bereits weit vorangetrieben hat. In einer ersten Stellungnahme kündigte er intensive Gespräche in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft mit den übrigen EU-Ländern an. Der Vorschlag enthalte die zentralen Aspekte einer künftigen Asyl- und Migrationspolitik und folge dem Prinzip von Humanität und Ordnung, fügte er an.

Die geplanten menschenrechtswidrigen Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen dürfe es auf keinen Fall geben, warnte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Und Cornelia Ernst, EU-Abgeordnete der Linken und asylpolitische Sprecherin ihrer Delegation, erinnerte an den Sinn des Asylrechts. »Das ist eine grotesk verschärfte Variante der bisherigen Politik. Das Ziel, noch schneller noch mehr Menschen abzuschieben, ist nicht neu. Aber die meisten Menschen können nicht abgeschoben werden, ganz einfach, weil die Zielländer nicht sicher sind. Hier ist schlicht kein Spielraum für mehr ›Effizienz‹«. Die Idee von europäischer Solidarität werde auf den Kopf gestellt, wenn Länder sich von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen könnten. Damit seien rote Linien wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Konvention und die Grundrechtecharta der EU überschritten, so Cornelia Ernst. Luise Amtsberg, Sprecherin der Grünen im Bundestag für Flüchtlingspolitik, und Franziska Brantner, Sprecherin für Europapolitik, beklagen, dass das kürzlich abgebrannte Lager in Moria, das symbolisch für das gescheiterte Asylsystem in Europa steht, nun praktisch »zur Blaupause« des künftigen Asylsystems gemacht werde.

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