Brutal poetisch

Marco Tschirpke erhält den Kabarettpreis »Der Eddi«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer ist Marco Tschirpke und was macht ihn preiswürdig? Einmal ganz unverblümt gefragt. Aber das funktioniert so nicht. Denn Blumen sind bei Tschirpke immens wichtig, wenigstens (und auch nur) in ihrer fragmentarischen Gestalt. Also über die Frage nach dem, was er eigentlich ist, wird man trotz aller begrifflichen Anstrengung kaum hinaus kommen, wie das schon beim Namensgeber jenes Preise der Fall war, den Tschirpke am 2. Oktober erhält. »Der Eddi« ist nach Edgar Külow benannt, bei dem wusste man ebenso wenig, welches Etikett man ihm aufkleben sollte. Kabarettist? Kleinkünstler? Schauspieler? Passt alles nicht so richtig. Eher schon: ein notorisch geiziger Wortarbeiter zwischen Pedanterie und Exzess. Auf komische Weise unwitzig, also auf brutale Weise poetisch.

Geboren wurde Marco Tschirpke 1975 in Rathenow an der Havel, aufgewachsen ist er in Brandenburg an der Havel. Da kam er also - stromaufwärts, aber dennoch - vom Regen in die Traufe, von der DDR, deren Ende den angehenden Jungdichter mitten in der Pubertät erwischte, nicht zu reden. Jedenfalls nicht explizit. Denn natürlich hat ihn diese - ziemlich unverblümt vonstattengehende - Untergangserfahrung geprägt. Sie hat ihn auf glückliche Weise immunisiert gegen alle hehren Ziele. So jemand ist nicht mehr verwendungsfähig im Fach Ideologie, denn der Sinn für Gefolgschaft ist ihm für immer verloren gegangen, gleich, ob es um »gerechte« Kriege oder Sprechchöre zur Rettung des Klimas geht. Tschirpke rettet nur einen: sich selbst (und das immer wieder aus Neue) in einzelgängerische Skepsis und geschliffene Formulierung, niemals ins Kollektiv.

Dieser Melancholiker ist gefährlich für alle im verbalen Nebel daher kommenden guten Absichten. Früher nannte man die zu kurz geratenen Gedichte, die er bevorzugt schreibt, Epigramme und einen wie ihn Aufklärer. Jedoch einen, der den Worten misstraut - das ist immer schon der Anfang vom Ende.

Marco Tschirpke hat eine Mission: Maximale Kürze und Lakonie knapp vor dem Verstummen ins Ziel zu bringen. Dieses Ziel ist der Zuhörer oder auch der Leser. Ihn gilt es, kurz vor der völligen Verweigerung auf überraschende Weise abzufangen. Da ähnelt der sich selbst sabotierende Vortragskünstler, der Tschirpke auch ist, dem Fallschirmspringer, der im letzten Moment die Reißleine zieht. Wenn sich der Schirm kurz vor dem für unvermeidlich gehaltenen Aufprall auf dem Erdboden doch noch öffnet, ist das - ja was? Kunst auf jeden Fall, ob auch Rettung, bleibt die Frage. Natürlich, wie alles im Leben des Einzelnen wie ganzer Staaten, bleibt es eine Frage von Rhythmus und Timing.

So zu besichtigen in seinen - inzwischen auf mehreren CDs vorliegenden - »Lapsus«-Gedichten, die er bei Bedarf auch singt und sich dabei selbst auf ziemlich avantgardistische Weise begleitet. Das Klavier wird zur Waffe, mit der Tschirpke das Publikum auf seine Stühle zwingt. Aber auch die Gedichte, oft in ein oder maximal zwei Sätzen, haben es in sich. Ein Klassiker: »Ich hatte dir ein Kleid gekauft, sagte, wenn du’s trägst, mich freut’s. Du trugst es noch am selben Tag zum Roten Kreuz.« So ist das mit dem atomisierten Alltag und den vergeblichen Paarbeziehungen: Sogar die Tragödien machen es kurz. Immerhin, der gelungene Reim tröstet.

»Lapsus« ist ein tückischer Titel. Er kann einen simplen Irrtum meinen, aber auch ein Ausgleiten kurz vorm Ziel, sogar ein Fall lässt sich so bezeichnen. Für den Lateiner: »Lapsus calami« ist ein Schreibfehler, »Lapsus linguae« ein Versprecher. Mit beiden gilt es zu rechnen! Gewiss ist das Fehlen echter Alternativen im Leben nicht ohne Fatalismus: »Ob dein Freund stirbt oder du, in beiden Fällen hast du Ruh.«

Aus dem Programm »Empirisch belegte Brötchen« ist inzwischen auch ein Buch (eines unter mehreren) geworden, denn der Philosoph in Tschirpke weiß, das gesprochene Wort mag gelten, aber nur für den Augenblick. Nur wer schreibt, der bleibt - und sei es irgendwo im Abseits, aber wer will als Autor ernsthaft etwas gegen diesen Ort, den einzigen, der Freiheit garantiert, einwenden?

Peter Hacks nennt er seinen Lieblingsdichter, hat auch Gedichte (die kurzen natürlich nur) von ihm vertont. Gewiss, Hacks wusste, dass Kunst von den Fehlern der Welt lebt, aber wenn es um Polemik ging, war der selbst ernannte Klassiker gar nicht geizig mit Worten. Etwa gegen die Romantiker unter seinen Autoren-Kollegen, in denen er lauter DDR-Staatsfeinde erblickte. Natürlich war auch Hacks ein verkappter (unglücklicher) Romantiker, der in die Kunst emigrierte und sich gern einmal dem Realismus der Märchen überließ.

Aber es gibt Hoffnung. Tschirpke setzt mutigerweise auf etwas, das seinem Idol Hacks verhasst war, obwohl er selbst es gelegentlich praktizierte: das Fragment, natürlich das in sich vollendete. Ein Epigramm, das von den Folgen der Knechtschaft geistiger Gefolgschaft handelt, lässt sich in diesem Zusammenhang zitieren: »Der Pfarrer schloss mich ein in sein Gebet. Herr, wie komm ich da jetzt wieder raus?«

Durch Eigensinn und beharrliche Verweigerung. Das, was Tschirpke, der Langstreckenläufer in Sachen Verknappung, nun schon so lange durchhält. Das ist bestimmt schon der halbe Weg auf dem Wege zum Klassiker. Einer wie Sisyphos, dem auch das immer gleiche Thema täglich neu vor die Füße rollt. Wenn man etwas von Tschirpke bei diesem recht absurd in sich kreisendem Tagewerk lernen kann: Weniger Worte reichen dennoch weiter! Glückwunsch zum »Eddi«.

Verleihung Berliner Kabarettpreis »Der Eddi«, 2. Oktober, 18 Uhr, Livestream unter: www.youtube.de/user/ndonline

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