Wie neutral ist die Polizei?

Aktivisten der »Friedel54« klagen gegen eine Falschmeldung auf Twitter

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.
»Lebensgefahr für unsere Kollegen«, twitterte die Berliner Polizei am 29. Juni 2017 um 10.54 Uhr während eines Räumungseinsatzes. »Dieser Handknauf in der #Friedel54 wurde unter !Strom! gesetzt. Zum Glück haben wir das vorher geprüft.« Dazu zeigte sie das Foto einer Tür des selbstverwalteten Stadtteilladens, wobei an der Tür selbst das Endstück eines Verlängerungskabels zu sehen ist. Obwohl bereits eine Stunde später, um 12.04 Uhr, per Polizeifunk gemeldet wurde, dass kein Strom auf der Klinke oder auf dem Geländer lag, brauchte die Polizei mehr als 24 Stunden, um eine Richtigstellung zu veröffentlichen – nachdem sie für die Skandalmeldung nur 14 Minuten gebraucht hatte.

Die Richtigstellung interessierte da ohnehin niemanden mehr, der Skandal um den »Türknauf des Todes« war längst in der Welt und die Medien griffen die Falschmeldung über den angeblichen »Mordversuch« (»Bild«) der Besetzer*innen unhinterfragt und bereitwillig auf. Die Kritik an der Räumung des Kiezladens und der massiven Polizeigewalt gegen die Sitzblockade sowie Pressevertreter*innen traten in den Hintergrund.

Im März 2019 reichten zwei Vertreter des »Friedel54«-Vereins Klage gegen die Polizei ein. In ihren Augen stellt der Tweet einen Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit dar. »Er konnte nur dazu dienen, Einfluss auf das Versammlungsgeschehen zu nehmen«, sagt Anna Gilsbach, Anwältin des »Friedel«-Kollektivs. Wäre von der Tür eine echte Gefahr ausgegangen, hätte die Polizei die Tür bewachen müssen, statt ungeprüfte Behauptungen zu twittern. Für die Kläger haben die Beamt*innen damit das Neutralität- und Sachlichkeitsgebot verletzt.

Sie beantragten, dass der Tweet gelöscht und, noch viel wichtiger, seine Rechtswidrigkeit festgestellt wird. Die Polizei löschte daraufhin zwar die Falschmeldung, betonte aber immer wieder, dass der Tweet rechtmäßig war. In der mündlichen Anhörung am Montagvormittag vor dem Berliner Verwaltungsgericht teilt der Richter diese Auffassung: Der Beitrag habe den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhandenen Sachstand der Polizei wiedergegeben. Auf die Frage, ob dadurch Menschen, die sich den Protesten gegen die Räumung womöglich angeschlossen hätten, abgeschreckt wurden, geht er jedoch nicht näher ein. Für ihn hat sich die Klage mit der Löschung des Tweets durch die Polizei erledigt.

Ein Feststellungsinteresse in der Frage der Rechtswidrigkeit sieht der Richter nicht. Weder liege eine Wiederholungsgefahr vor, noch gebe es ein Rehabilitierungsinteresse, da die Kläger nicht namentlich genannt wurden. Das sehen die Aktivisten anders: Zum einen seien sie weiter stadtpolitisch aktiv, wodurch eine Wiederholungsgefahr gegeben sei, und zum anderen seien sie als Pressesprecher beziehungsweise Vorstand des Vereins so etwas wie die Gesichter der »Friedel54«. Die beiden jungen Männer sehen sich durch den Tweet als potenzielle Mörder stigmatisiert. Mit entsprechenden Konsequenzen: So habe es bei einem Treffen von mietenpolitischen Initiativen Bedenken an seiner Teilnahme gegeben, wobei auf den Polizei-Tweet verwiesen wurde, berichtet einer der Kläger. In einem anderen Gerichtsverfahren sei der Tweet in den Polizei-Akten aufgetaucht, was im schlimmsten Fall Auswirkungen auf das Strafmaß haben könnte. Und nicht zuletzt sei seine eigene Mutter durch die mediale Berichterstattung so verunsichert gewesen, dass sie ihn gefragt habe, ob er das wirklich getan habe. »Das hat mich am meisten getroffen.«

Der Vereinsvorsitzende kann nicht verstehen, warum die Polizei bei den Medien immer noch ein so großes Vertrauen genießt. »Versehentliche Falschmeldungen haben hier Methode«, sagt er mit Verweis auf Berichte der Behörde über angebliche Molotowcocktails beim G20-Gipfel in Hamburg und »Säure-Konfetti« bei einer Demonstration in der Rigaer Straße 2016 – beides hat es nachweislich nie gegeben. »Die Polizei weicht in den sozialen Medien von ihrem Neutralitätsgebot ab, um die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen«, ist er überzeugt.

Dem wollen die beiden Aktivisten einen Riegel vorschieben. Auch wenn der Richter die Klage am Montag als unzulässig abwies, wollen sie eine Revision vor dem Oberverwaltungsgericht prüfen. Auch um einen Präzedenzfall zu schaffen. »Die Polizei hat keine Meinungsfreiheit, sie hat sich nicht einzumischen«, stellt Anwältin Gilsbach klar.

Eine Frage konnte am Montag zumindest geklärt werden: Warum lag denn überhaupt ein Stromkabel in der Tür? »Wir hatten am Vorabend ein Filmscreening und der Strom kam aus dem Keller«, so die Aktivisten.

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