Wischiwaschi statt klares Konzept

Pädagogengewerkschaft GEW und Elternvertreter kritisieren Corona-Schutzmaßnahmen an Berliner Schulen als unzureichend

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn sich der Landesvorsitzende der Berliner Pädagogengewerkschaft GEW, Tom Erdmann, die neuen Corona-Schutzmaßnahmen des Senats für die Schulen in der Hauptstadt anschaut, kann er nur mit dem Kopf schütteln. »Ich bin damit wirklich nicht zufrieden«, sagt er. »Statt diesem Wischiwaschi-Kompromiss, der über das Allernötigste nicht hinausgeht, hätten wir uns von Bildungssenatorin Scheeres mutigere Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gewünscht.«

Nach den Bund-Länder-Beschlüssen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie hatte der rot-rot-grüne Senat am vergangenen Donnerstag über die konkrete Umsetzung des Maßnahmepakets in Berlin diskutiert. Zuvor hatten sich die Länderchefs im Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Ausweitung der Maskenpflicht an Schulen sowie die Einführung von Wechselunterricht von Präsenztagen im Klassenzimmer und Homeschooling verständigt.

Maskenpflicht in Stufe 5 und 6

In Berlin soll nun ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern die Maskenpflicht auch in den Klassenstufen 5 und 6 an den Grundschulen gelten. Die Maßnahme ist spätestens ab dem 7. Dezember umzusetzen, wie es in der Erklärung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) heißt. Zudem soll es den weiterführenden Schulen bei Freiwilligkeit künftig erlaubt werden, Wechselunterricht umzusetzen.

In der Regel werden Lerngruppen dann geteilt, der Unterricht findet einerseits in der Schule, andererseits unter schulischer Anleitung zu Hause statt.

Dies allerdings mit Einschränkungen. So gilt die Erlaubnis der Bildungssenatsverwaltung lediglich für die Jahrgangsstufen 8 und 11 an den Integrierten Sekundarschulen (ISS) und Gemeinschaftsschulen sowie in den Jahrgangsstufen 8 und 9 an den allgemeinbildenden Gymnasien. Die jeweiligen Abschlussjahrgänge sind dabei bewusst ausgenommen, um den Lernerfolg im Präsenzunterricht nicht zu gefährden, wie die Bildungssenatorin sagte. Auch die 7. Klassen sind wegen womöglich fehlender Betreuungsmöglichkeiten Zuhause vom Wechselunterricht ausgenommen.

Es sind diese Ausnahmeregelungen insbesondere für die Abschlussjahrgänge, an denen sich GEW-Chef Erdmann stößt. »Wir sehen in dem hybriden Wechselunterricht die einzig wirksame Möglichkeit, die Infiziertenzahlen an den Schulen zu drücken und damit weitgehende Schließungen noch zu verhindern«, sagt er. Deshalb hätte die jetzt ausgesprochene Erlaubnis aus Sicht des Lehrervertreters generell für alle Klassenstufen an den Oberschulen gelten müssen. »Damit hätten wir in Kombination mit der erweiterten Maskenpflicht einen belastbaren Winterfahrplan gehabt«, sagt Erdmann. Diese Chance habe man trotz guter Resultate, die viele Berliner Schulen bereits mit dem hybriden Lernen gemacht hätten, nun vertan. »Ich befürchte, dass wir im Dezember noch große Probleme an den Schulen bekommen werden«, so Erdmann.

Diese Befürchtung teilt der GEW-Vorsitzende mit Carola Ehrlich-Cypra, Sprecherin des Elternnetzwerks Berliner Gemeinschaftsschulen. »Um einen kompletten Schul-Lockdown zu verhindern, müsste es das Hybrid-Unterrichtsmodell in allen Jahrgängen an den weiterführenden Schulen geben«, meint die Elternvertreterin. Dass es die Genehmigung zur Umsetzung des Modells nur für einzelne Klassenstufen gebe, halte sie für falsch. »Auch für die Abschlussklassen ist es besser, wenn sie geregelt ein paar Tage in die Schule gehen können und die andere Hälfte von Zuhause aus lernt, als dass sie von heute auf morgen in Quarantäne geschickt und nur im Notfallmodus unterrichtet werden«, findet Ehrlich-Cypra. »Ganz zu schweigen davon, wenn es zu einem Coronafall in der Klasse kommt.« Angesichts von Tausenden Schülern und Pädagogen, die sich aktuell in Berlin in Quarantäne befinden, könne man faktisch nicht mehr von Regelschulbetrieb sprechen.

Der Sprecher der Berliner Bildungsverwaltung, Martin Klesmann, hält dagegen. »Es ist richtig, die jeweiligen Abschlussjahrgänge vor Ort in den Schulen zu halten«, sagt Klesmann.

Distanzlernen fördert Benachteiligung

Das Distanzlernen habe insbesondere für Schüler aus sozial benachteiligten Haushalten oft negative Folgen. »Um Wissenslücken zu vermeiden, aber auch wegen der so wichtigen sozialen Kontakte, hat der Präsenzunterricht für den Senat höchste Priorität«, sagt Klesmann. Generell sieht er die Berliner Schulen mit den neuen Maßnahmen gut auf den Corona-Winter vorbereitet. »Mit dem Hybrid- und Wechselunterricht haben viele unserer Schulen in den letzten Wochen gute Erfahrungen gemacht, die sie jetzt weiterentwickeln können«, sagt der Senatssprecher. Den Wechselunterricht anzuordnen, statt wie jetzt auf freiwilliger Basis zu erlauben, hält er für falsch. »Nur, wenn sich die ganze Schule im Rahmen der Schulkonferenz darüber einig ist, kann das Modell auch für alle Beteiligten funktionieren.«

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