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Schmalzgebäck

Weihnachtszeit ist Familienzeit, das stimmt wirklich

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle Jahre wieder wird man auf allen möglichen Kanälen mit diesem Thema konfrontiert: Weihnachten. Was für die einen ein religiöses Fest, Geburt Jesu Christi und Christmette bedeutet, ist für andere einfach ein weltliches Fest, Feiern, Geschenke, Glühwein und ein paar freie Tage - und das auch nur, wenn man nicht unbedingt prekären Jobs nachgeht.

Und jedes Mal entflammen auch auf Social Media immer wieder die gleichen Diskussionen: Geht man zu seiner toxischen Familie, ja oder nein? Wenn, wie dieses Jahr, noch hinzukommt, dass pandemiebedingt kein »normales« Weihnachten stattfinden kann, sind viele Menschen verwirrt. Sollen sie jetzt wütend sein, dass sie nicht zu ihren toxischen, rassistischen und bodyshamenden Familien können, oder wie funktioniert das jetzt dieses Jahr? Worüber beschwert man sich 2020 eigentlich?

Ich weiß ja nicht, was ihr alle habt, aber ich liebe Weihnachten.

Weihnachtszeit hieß bei uns immer Familienzeit. Das ganze Jahr über wurde gespart, um sich dann mit der gesamten Familie bei den Großeltern zu treffen. Dann kamen für eine Woche Verwandte aus Dänemark, England und ganz Deutschland zusammen, um in der 4-Zimmer-Wohnung meines Onkels, bei dem meine Großeltern lebten, auf Matratzen auf dem Boden zu schlafen. Bis tief in die Nacht wurden aktuelle News aus der Community und Familientratsch ausgetauscht. Wir spielten Konsole, gingen auf den Hamburger Dom oder Weihnachtsmarkt, um Schmalzgebäck (haram!) zu essen, Schlittschuhlaufen oder Bowlen. Besonders schön war es, wenn mal islamische Feiertage auf Weihnachten fielen. Dann gab es sogar für uns Geschenke. Gelebter interreligiöser Dialog sozusagen, wenn in einem Wohnblock Weihnachten, Eid und Chanukka gefeierten wurden.

Ja, wir feierten damals Weihnachten. Irgendwie. Ich stellte mir vor, dass es wie bei den weißen Deutschen sei. Nur ohne Weihnachtsbaum und ohne Geschenke. Aber dafür mit viel Familie - und den dazugehörigen Konflikten halt. Und je älter wir wurden, desto seltener wurden diese Treffen. Die Kinder gingen weg zum Studieren, heirateten, gründeten eigene Familien.

Wir wurden auch kritischer. Fingen an Dinge zu hinterfragen und zu reflektieren. Plötzlich war nicht mehr alles nur besinnlich. Ich erinnere mich daran, wie ich als Werkstudentin bei einer großen Versicherung von den Kolleg*innen gefragt wurde, ob ich es nicht auch unfair finden würde, dass »Muslime und Türken« an Weihnachten frei hätten. »Wer nicht Weihnachten feiert, der soll an Weihnachten auch nicht frei haben.« Es war natürlich nicht meine erste Erfahrung mit offenem Rassismus.

Ich habe auch schon gewaltvollere Erfahrungen gemacht. Aber es war die erste Erfahrung, in der man mir etwas Wichtiges nehmen wollte: Zeit mit meiner Familie. Die Erinnerungen an eine sorglose Zeit zum Jahresende. Dazu diese Anspruchshaltung, als würden meine Eltern nicht arbeiten und hätten keine Feiertage verdient. Und vor allem: als hätten wir Alternativen. Als wäre Eid/Bayram ein gesetzlicher Feiertag, an dem man selbstverständlich zu Hause bleiben könnte. Mir wurde bewusst, dass auch die Weihnachtszeit ein Teil meiner Identität ist, dass wir Traditionen und Rituale entwickelt haben, die ich nicht mehr missen will. Wenn ich an Weihnachten denke, denke ich an den Duft von gebrannten Mandeln vom Weihnachtsmarkt, an das Essen meiner Mutter, an unsere Nachbar*innen, die mir und meinem Bruder immer am Nikolaustag Mandarinen in die Stiefel legten.

Ich denke aber daran, dass ich in einer weiß-christlichen Dominanzgesellschaft kein Recht habe, die Feiertage für mich zu beanspruchen. Ich denke daran, wie jüdische Freund*innen davon erzählen, wie unsichtbar Chanukka während Weihnachten wird - und das, obwohl die Deutschen sonst auch nie müde werden, von »jüdisch-christlichen« Traditionen zu sprechen.

Und ich denke aber auch an schiefe Blicke auf dem Weihnachtsmarkt, an gestresste, aber auch rassistische Verkäufer*innen in Geschäften während der Weihnachtszeit und an ignorante und rassistische Kolleg*innen. Daran, wie Eltern von Mitschüler*innen mich anschauten, weil ich im Chor Weihnachtslieder mitsang.

Am meisten aber vermisse ich die Zeit bei meiner Großmutter. Und den Kakao meiner Mutter.

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