• Kultur
  • Pressearbeit der Polizei

Lösch dich aus dem Internet, Polizeipresse!

Berlin sollte den Anfang machen und seiner Polizei den Betrieb eigener Social Media Accounts verbieten, findet Jeja Klein.

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Immer häufiger nutzt die Polizei Postings in sozialen Medien und auf Internetseiten, um in ihrem Sinne Öffentlichkeit zu erzeugen. Dabei sollte die Presse die »vierte Gewalt« sein. Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau etwa stellte das Zeitungswesen den drei Gewalten der Legislative, Judikative und Exekutive gegenüber. Es sollte der Kontrolle der staatlichen Gewalten dienen und so die Demokratie schützen. Schon allein vor dem Hintergrund dieser Mediengeschichte ist es bemerkenswert, dass sich die Polizeien in Deutschland seit einigen Jahren eigene Medien beschafft haben, Facebook und Twitter mit ihrer Weltsicht bespielen. Das Resultat ist demokratiegefährdend.

Wir erinnern uns: In der Silvesternacht 2016/17, als sich der Blick der Öffentlichkeit nach Köln richtete, lancierte die Polizei den Begriff »Nafri« in die Medien. In dem zutiefst rassistischen Ausdruck wurde die ethnische Herkunft von Menschen mit Kriminalität und Gewalt kurzgeschlossen. Die Griffigkeit des geradezu Orwell’schen Ausdrucks ließ nicht nur am rechten Rand die Sektkorken noch vor Mitternacht knallen. Viele Menschen im Land hatten das Gefühl, dass sich in »Nafri« etwas ausdrückte, was sie tief in ihrem Innern genau so empfanden - bloß unterdrückt von einer angeblichen politischen Korrektheit. Diese Sprachpolitik ist zutiefst gefährlich. Denn auch der Begriff »Zigeuner« hatte es aus dem Polizeivokabular der Zeit vor der NS-Diktatur bis zu einer politischen Konstruktion einer ganzen, zur Vernichtung vorgesehenen, Volksgruppe gebracht.

Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Als spätere Untersuchungen feststellten, dass sich unter den eingekesselten »nordafrikanischen Intensivtätern« der Silvesternacht kaum Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln fanden, war die Debatte längst weitergezogen. Der Stunt der Kölner Polizei war geglückt und darf als Vorlage für viele weitere politisch motivierte Pressetätigkeiten der Polizeibehörden gelten. So erkannte die Polizeiinspektion Lüneburg im Mai 2018 bei einer Demonstration der Anti-Atom-Bewegung vor dem Haus eines Beamten des Staatsschutzes in Hitzacker laut ihrer Pressemitteilung eine »neue Qualität der Gewalt«. Zeitungen wählten Symbolbilder mit fliegenden Steinen, sprachen von vermummten Gewalttätern, die ein Grundstück gestürmt hätten. Sogar der Bundesinnenminister machte sich die politische Einschätzung aus der Lüneburger Amtsstube zu eigen. Als ein Jahr später alle Ermittlungen eingestellt wurden, weil im Grunde keine Straftat zu erkennen war, interessierte das niemanden mehr. Konsequenzen für die Polizei Lüneburg? Keine.

Vor Kurzem hat die Berliner Polizei einen fragwürdigen Einsatz gegen ein queeres Happening unter freiem Himmel medial aufbereitet: In der Polizeipresse wurde von einem Einsatz gegen eine »Fetisch-Party« berichtet. Allein: Das stimmte genauso wenig wie, dass Besetzer*innen 2017 den Türknauf einer Kiezkneipe unter Strom gesetzt hätten, um Polizist*innen zu ermorden. Legendär ist auch die Pressearbeit der Polizei Leipzig, die einen Eingriff an einer Ohrmuschel unter Lokalanästhesie zu einer »Not-OP« hochjazzte, um einen »versuchten Mord« an einem Kollegen zu untermauern.

Auch der illegale Geheimclub hinter einer Kühlschranktür in Berlin-Mitte, über den Beamt*innen über ihre Medien kürzlich herzogen, war keiner. Stattdessen hat sich die Polizei als cooler Sheriff in Szene gesetzt, der das Gesetz humorvoll in die eigene Hand nimmt. Die regelmäßigen Korrekturen aus der eigentlichen vierten Gewalt erreichen die Konsument*innen der Polizeimedien nicht. So entsteht eine Filterkammer, in der sich Polizist*innen und Bürger*innen radikalisieren.

In Berlin, wo die Polizei am häufigsten mit Fake News und politischer Berichterstattung auffällt, regiert ein rot-rot-grüner Senat. Berlin könnte, ja müsste das erste Land sein, das seiner Polizei den Betrieb eigener Accounts in sozialen Medien untersagt. Denn mal im Ernst: Wir leben in einer Demokratie mit Gewaltenteilung.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal