Briefköpfe für alle

Velten Schäfer lotet die Gesetze des Marktes für Hochschultitel aus

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als »angebotsorientierte Politik« firmiert seit Richard Nixons Zeiten das Mantra von Steuersenkungen, Deregulierung und niedrigen Löhnen. Verbunden ist damit die Vorstellung, dass »wettbewerbsfähigere« Produkte schon irgendwie Kundschaft finden und die Wirtschaft dadurch wächst. Dagegen steht die Idee, dass der Staat für mehr Wachstum durch Nachfrage sorgen muss, indem er einkauft oder die Leute dazu befähigt.

Deutlich wird das Große ja oft im Kleinen. Nehmen wir den Nischensektor des Marktes für akademische Titel - und zwar dort, wo dieser am ausgeprägtesten ist: in Österreich. Nirgendwo sonst wird schon ein »Dipl. Ing.« öffentlich getragen oder ist die Nachfrage nach Produkten wie »Doktor« oder einst - immerhin - »Magistra« größer als in dem kleinen Land, das den Verlust seiner Größe im Verlangen nach grandiosen Briefköpfen kompensiert.

Auf diesem Titelmarkt ist gerade dieser Tage viel los. Nach unerträglichen »Untergriffen« selbst auf »meine Kinder« - beziehungsweise dem Publikwerden nicht nur einer Plagiatsquote von 20 Prozent in der Master- wie Doktorarbeit, sondern auch zahlreicher Phrasengeneratorblüten à la »zur Einschätzung des Marktes wurde in den nächsten Jahren eine große Umstellung geschätzt« auf den 134 Seiten der letzteren - musste sich die ÖVP-Arbeitsministerin Christine Aschbacher eine neue Herausforderung suchen.

Frei nach dem Marx-Kalauer wiederholt sich ja die Geschichte: einmal als Tragödie und dann in Österreich. Aber was lässt sich anhand dieser neuen Benchmark im Schnittpunkt von Bullshit und Plagiat über diesen Markt sagen - oder noch allgemeiner: über die Wirtschaftstheorien? Ist hier die offenkundige Deregulierung des Titelangebots der entscheidende Treiber dieser Zustände? Oder sorgt überbordende Nachfrage für eine unkontrollierte Expansion des Marktes für Abschlussurkunden?

Ein Hinweis auf die Antwort findet sich dieser Tage in der Fachhochschule Wiener Neustadt. Dort pflegen nämlich, wie im Umfeld des Rücktritts von Aschenbach publik wurde, vor allem höhere Polizeibeamte einen akademischen Abschluss zu erwerben. Dass man einen »Bachelor of Arts« in »Security Management« als Zierde der Visitenkarte empfinden kann, ist nur das eine, was daran bemerkenswert ist. Das andere ist der Umstand, dass zur Erwerbung dieses Grades 44 von 68 Studierenden im fünften von sechs Semestern zusteigen durften.

Was das für Österreichs Sicherheitsmanagement bedeutet, lässt sich mit Christine Aschenbacher auf den Punkt bringen: »Der Status quo zur Problematik stellt heraus, dass Führungsstile als Basis für die Innovation gegeben sind.« Hinsichtlich der Wirtschaftskonzepte hingegen scheint sich zu erweisen, dass der Staat es hier mit Nachfrageanreizen übertrieben hat: Der Run auf jenen Bachelor wurde nämlich mit der Aussicht auf dicke Extrasaläre befeuert. Zumindest in diesem Nischenmarkt hat sich eingestellt, was oft als Problem der Nachfragepolitik genannt wird: Inflation!

Die Frage, warum eine solche durch die aktuellen Pandemiekreditprogramme - trotz aller Unkenrufe angebotsorientierter Ökonomen - hingegen eher nicht droht, würde sich der Ökonomin Aschbacher wohl eher nicht erschließen. Die Alpenrepublik wartet derweil auf jemanden, der über die endgültige Lösung des Titelverlangens ohne Inflationseffekte promoviert: Die Lösung bestünde darin, jedem Landeskind qua Geburt einen Titel-Briefkopf zu gewähren: »Master of the Art of Being an Austrian«.

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