Therapie über Videocall

Teil 12 unserer Serie über Menschen in Berufen, die die Coronakrise besonders trifft

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 3 Min.

In dem virtuellen, viereckigen Wartezimmer klingelt es, auf dem Computerbildschirm ploppt ein Gesicht auf. Für den Therapeuten Georg Schmitt ist dieser Anblick seit Beginn der Corona-Pandemie Arbeitsalltag. 65 bis 70 Prozent seiner Patient*innen betreut er mittlerweile so. Und ist heilfroh, dass es diese Möglichkeit gibt. »Aber es ist nicht das gleiche«, sagt der 63-Jährige über die virtuelle Therapieform. Denn ohne Corona sei eine Präsenz-Therapie medizinisch immer vorzuziehen, erklärt er. Die Video-Option ist in pandemischen Zeiten eher ein Behelf.

Denn ganz so einfach ist das mit der Online-Therapie nicht. Die Dynamik verändert sich durch den Videoanruf. Für Georg Schmitt, der auch als Körpertherapeut arbeitet, bedeutet das Sprechen über den Bildschirm beispielsweise, dass er nicht alles vom Patienten sehen kann. Die nonverbale Kommunikation ist durch die Videotherapie sehr eingeschränkt. Zum Beispiel könnte sein Gegenüber ihn virtuell anlächeln, aber unter dem Tisch nervös mit dem Fuß tippeln. Erstaunt war Georg Schmitt auch darüber, wie viel anstrengender Videotherapie für ihn selbst werden würde. Er müsse sich viel stärker konzentrieren und mehr aufpassen, um von seinem Gegenüber teils unbewusste Informationen zu erhalten. Außerdem kann abhängig von den häuslichen Bedingungen der Patient*innen nicht immer eine therapeutische Schutzform gewährleistet werden. Die ungestörte Situation ist unerlässlich für den therapeutischen Kontakt. Aber wenn jemand zwei kleine Kinder im Lockdown hat oder die Wohnung nicht groß genug ist, um sich abzukapseln, führt das zum Problem.

Georg Schmitt
Georg Schmitt arbeitet als tiefenpsychologischer Psychotherapeut; seit 2002 in seiner eigenen Praxis. Er ist Vorsitzender des Landesvorstandes Berlin der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV).

Deswegen kommen einige Patient*innen ab und zu in seine Praxis in der Pfarrstraße in der Victoriastadt in Lichtenberg. Dafür müssen sie einen tagesgleichen negativen Antigen-Schnelltest nachweisen, den sie selbst zahlen. Es wird gelüftet und Abstand gewahrt. Auch Schmitt selbst streicht sich regelmäßig ab.

Vor Ausbruch des Virus fand die Therapie in gegenseitiger Präsenz in seiner Praxis statt. Doch das Expositionsrisiko in einer 50-minütigen Sitzung in einem Raum ist exorbitant. Manche Kolleg*innen ließen Sitzungen noch stattfinden und trügen wie ihre Patient*innen Maske.

Das Modell Videotherapie ist in einigen Fällen sogar sehr vorteilhaft. Beispielsweise für schwer angstgestörte Patienten mit heftigen sozialen Phobien, die in einigen Fällen nicht vor die Tür gehen können, eröffnet diese Therapieform ganz neue Möglichkeiten. Oder auch für eine von Schmitts Patientinnen, die nach anderthalb Jahren Therapie für ihr Studium in eine weit entfernte Stadt gezogen ist. Dank Videobehandlung können sie auch weiterhin gemeinsam arbeiten. Früher wäre ein Wohnortwechsel gleichbedeutend mit Therapeutenwechsel gewesen.

Um überhaupt die Möglichkeit der digitalen Therapieform anzubieten, musste Georg Schmitt - wie viele andere Therapeut*innen auch - seine Praxis technisch aufrüsten. Sein Berufsverband die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) stellte die notwendigen Informationen zur Verfügung. Er nutzt das zertifizierte Videoprogramm Sprechstunde Online mit einer Peer-to-Peer-Verschlüsselung. Schon vor der Pandemie standen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zertifizierte Programme für Fernbehandlung zur Verfügung, weil bis dato in Praxen bis zu 20 Prozent der Patient*innen pro Quartal über Ferntherapie behandelt werden durften.

Zu Beginn traten technische Probleme auf, Verbindungsprobleme mit dem Internet, der Ton war verzerrt, es gab kein Bild. In Fällen, in denen das Problem nicht behoben werden konnte, rief er seine Patient*innen mit dem Telefon an. Doch momentan läuft es in der Regel störungsfrei.

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