Zynischer geht immer

Frédéric Valin über moralische Abgründe des Werbebusiness

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 3 Min.

Werbung im sozialen Bereich funktioniert nur äußerst selten. In Zeiten von ironischen Kampagnen wie dem »Weil wir Dich lieben«-Aufschlag der BVG fehlt dieser Art von Unternehmen der notwendige Zynismus. Sie versuchen, die Belange und Bedürfnisse von Menschen in den Vordergrund zu stellen, für die sich die meisten gar nicht erst interessieren. Ein distanzierter, überlegener, ja souveräner Umgang ist da gar nicht möglich.

Soziale Unternehmen haben weder das Geld, eine Überwältigungskampagne zu fahren, noch haben sie das Mittel des Humors, um sich darüber lustig zu machen, dass sie das Geld nicht haben. Die seltenen Fälle, in denen sie es doch mit Humor versuchen - etwa wenn das Familienministerium eine freshe Serie wie »Ehrenpflegas« produziert, um junge Menschen davon zu überzeugen, sich in Pflegeberufen ausbilden zu lassen - geht das regelmäßig gründlich schief. Auch weil das, was anderen Unternehmen wie selbstverständlich möglich ist - nämlich zu lügen, zu beschönigen, zu verdrehen -, für soziale Einrichtungen nur bis zu einem gewissen Grad erlaubt ist. Ein inszeniertes Foto mit lachenden alten Menschen im Aufenthaltsraum geht noch, aber die Dreistigkeit, mit der Autohersteller ihre benzinfressenden Blechkisten durch Naturlandschaften kurven lassen, als wären Karre und Wald quasi eins, oder die Frechheit, mit der die Fleischindustrie fröhliche Kühe auf immergrünen Weiden zeigt, diese Art von Bigotterie ist nicht akzeptiert für soziale Unternehmen.

Freilich gibt es trotzdem Humorpotenzial: ein niederträchtiger, herabsetzender Humor, der sich für sein Thema überhaupt nicht interessiert. Zwei Webdesigner aus Erfurt haben auf Instagram die Seite »Jugendhilfe gegen Drogen« ins Leben gerufen, mit entsprechend täuschendem Logo und treuherzig irgendwo hingeschrieben, dass es sich natürlich nicht um eine offizielle Seite irgendeiner Jugendhilfe handelt. Tiere mit großen Augen, die aussehen wie Kinderbuchillustrationen, sagen treuherzig mies getextete Sinnsprüche in die Kamera. »Ohne Kiffjoints ist mein Verstand schnell wie die Post«, erklärt da Peter Fuchs. »Ich hab’s gecheckt, wegen Drogen war ich lost«. Und ein Fisch mit Sonnenbrille erzählt im letzten Post, dass »an der Shisha blubbern out und mega low« sei, dass wisse »jede Sis und jeder Bro«; das alles keine zehn Tage vor dem Jahrestag des Mordanschlags in Hanau. Die Edgyness kennt keine Grenzen. Die beliebtesten Posts sammelten fast 20 000 Likes.

Die ganze Seite ist scam, ein Betrug. Es geht schlicht darum, lustige Aufkleber zu verkaufen. Die Gesellschafter Jonas Nagel und Tobias Kegel haben es verstanden, den zynischsten aller Takes auszupacken, um ein paar Euro zu verdienen. Das in einer Zeit, in der Menschen mit Drogenproblematik vor ganz besonderen Herausforderungen stehen: Versorgungsnetzwerke sind zusammengebrochen, wegen der Reisebeschränkungen gibt es immer weniger Drogen auf der Straße, durch die Ausnahmesituation ist der Druck gestiegen und Programme zum begleiteten Entzug arbeiten nur eingeschränkt. Der einzige Weg, wie diese Geschichte tatsächlich noch lustig werden könnte, wäre, wenn eine Abmahnanwältin jetzt die Bühne beträte.

Um gute und erfolgreiche Werbung zu machen, muss einem einfach viel egal sein. Deswegen ist es ein gutes Zeichen, dass soziale Unternehmen mit ihrem Marketing häufig so grandios scheitern.

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