Später Respekt für die Unerwünschte

Deutscher Leichtathletik-Verband erkennt nach 73 Jahren Rekord der Hochspringerin Bergmann an

Gretel Bergmann war vor mehr als sieben Jahrzehnten eine der besten Hochspringerinnen der Welt. Doch erst im Alter von 95 Jahren ist der Schwäbin, die seit 1937 in New York lebt, Gerechtigkeit widerfahren – 73 Jahre, nachdem sie mit 1,60 m den deutschen Rekord eingestellt hatte. Die nationalsozialistische Sportführung versagte ihr damals aufgrund ihrer jüdischen Herkunft die Rekordanerkennung und kurz danach auch die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Nunmehr beschloss der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Bergmanns Leistung endlich anzuerkennen.

»Wir wissen, dass dies keine Wiedergutmachung sein kann, aber es ist ein Akt der Gerechtigkeit und eine symbolische Geste des Respekts vor Gretel Bergmann«, erläuterte DLV-Ehrenpräsident Theo Rous die Entscheidung. Zudem wurde in einem Brief an die Deutsche Sporthilfe Bergmanns Aufnahme in die »Hall of Fame« des deutschen Sports angeregt. Die bewegende Lebensgeschichte der am 12. April 1914 in Laupheim geborenen Gretel Bergmann ist seit September 2009 unter dem Titel »Berlin ’36« in den Kinos zu sehen, in der Hauptrolle die Berliner Schauspielerin Karoline Herfurth.

Schon 1931 hatte Bergmann, für den Ulmer Fußballverein 1894 startend, bei den süddeutschen Meisterschaften mit 1,51 m einen deutschen Rekord aufgestellt. Doch im April 1933 wurde sie mit Verweis auf den »Arier-Paragrafen« aus dem Verein ausgeschlossen. Sie emigrierte nach England und wurde 1934 britische Hochsprungmeisterin mit 1,55 m.

Die Nationalsozialisten zwangen sie zur Rückkehr, indem sie mit Repressalien gegen ihre zurückgebliebene Familie drohten. Sie forderten Bergmann auf, für die Olympischen Spiele 1936 zu trainieren, da die USA die Teilnahme deutscher Juden forderten und anderenfalls mit einem Boykott drohten. Bergmann egalisierte schließlich 1936 mit 1,60 m den jetzt vom DLV anerkannten deutschen Rekord.

Am 16. Juli, einen Tag nachdem die Amerikaner sich nach Deutschland eingeschifft hatten, erhielt Gretel Bergmann jedoch einen Brief vom Reichssportführer. Die Nazis zeigten ihr wahres Gesicht und entzogen ihr die olympische Startberechtigung – mit der unverschämten Lüge, ihr Leistungsstand sei nicht ausreichend. Eine Stehplatzkarte für das Olympiastadion könne aber gewährt werden, hieß es sarkastisch.

Für Hitler war Gretel Bergmann eine unerwünschte Favoritin. In späteren Interviews sagte sie, dass ihr »eine olympische Medaille gestohlen« wurde: »Gold, nichts anderes wäre es gewesen. Gold. Ich sprang immer höher, je wütender ich war. Ich wollte zeigen, dass ein jüdisches Mädchen die Deutschen besiegen kann.«

Gretel Bergmann wanderte nach ihrem Startverbot aus Nazi-Deutschland aus und ging in die USA, wo sie sich mit Gelegenheitsarbeiten ihren Unterhalt verdiente. 1937 heiratete sie den Arzt Bruno Lambert, der seine Eltern und 30 Verwandte im Holocaust verloren hatte und ebenfalls aus Deutschland geflohen war. In den USA startete sie fortan unter dem Namen Margaret Bergmann-Lambert und wurde sofort US-Meisterin im Hochsprung (1937, 1938) und im Kugelstoßen (1937). Sie war erfolgreich, obwohl sie ihren Trainer in Amerika eine »Niete« nannte. »Er war Bestattungsunternehmer«, schilderte sie, »und ich sagte ihm stets: Deine Leichen sind besser erhalten als deine Sportler.«

In den USA wurde sie 1996 in die »National Jewish Sports Hall of Fame« aufgenommen. Im Washingtoner Holocaust-Museum gibt es einen von ihr selbst gesprochenen Report über ihre Erlebnisse vor Olympia 1936. In Deutschland erhielt sie 1999 den Georg-von-Opel-Preis. Eine Sporthalle in Berlin und ein Stadion in Laupheim tragen mittlerweile den Namen der einst vertriebenen Jüdin. Nun ist noch ein Rekord hinzugekommen.

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