Wie der Priester, so die Nonne

Immer mehr Missbrauchsfälle – Verjährungsfristen in der Diskussion, Runder Tisch geplant

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Am Wochenende wurde gegen eine ehemalige Nonne der Berliner Hedwigschwestern der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben.

Berlin (Agenturen/ND). »Man hört immer nur von Priestern, dabei waren's doch die Nonnen genauso.« Das sagte eine heute 60-jährige Frau, die als Kind in Heimen der Hedwigschwestern in Berlin lebte, am Sonntag in der ZDF-Sendung »Mona Lisa«. Sie sprach von ständigen Berührungen im Intimbereich, die in ihrem achten Lebensjahr begonnen hätten.

Der Pressesprecher der Hedwigschwestern, Thomas Gleißner, kündigte eine »offensive Aufklärung« an. »Die Ordensgemeinschaft will den Vorwurf ernsthaft prüfen, sich damit auseinandersetzen und den Fall aufklären«, sagte er am Montag. Man habe bereits mit der Beschuldigten gesprochen, die streite die Vorwürfe jedoch ab. Es handelt sich um eine heute 79-Jährige, die Gleißner zufolge im Jahr 1986 aus persönlichen Gründen aus dem Orden ausgetreten sei. Die sexuellen Übergriffe sollen sich in einem Kinderheim in der Nähe des Wannsees in Berlin-Zehlendorf ereignet haben, wo die Frau, die jetzt die Vorwürfe erhob, von 1958 bis 1965 untergebracht war.

Vor rund zwei Jahren habe diese sich an die Heimleitung gewandt und um Akteneinsicht gebeten. Um Missbrauch sei es aber nicht gegangen, sagte Gleißner. Auch in einem späteren Gespräch mit dem Leiter des Heims, Günter Mecke, habe die Frau von den damals verhängten Strafen, nicht aber von Missbrauch gesprochen.

Die Zahl der gemeldeten Missbrauchsfälle am Reform-Internat Odenwaldschule im hessischen Heppenheim erhöhte sich unterdessen nach Angaben der Schulleiterin Margarita Kaufmann auf 24, darunter eine Frau. Kaufmann sprach sich in der »Frankfurter Rundschau« für den Rücktritt des Schulvorstands aus, dem auch sie selbst angehört. Dem Zeitungsbericht zufolge waren die Übergriffe jahrelang vertuscht worden. Nach Schätzungen könnte es bis zu 100 Opfer in den Jahren 1971 bis 1985 gegeben haben.

Ebenfalls am Wochenende teilte das Bistum Hildesheim die Suspendierung eines Wolfsburger Pfarrers mit. Dieser hatte gestanden, vor mehr als 30 Jahren einen Jungen missbraucht zu haben. Das Opfer habe bisher aus Scham geschwiegen.

Mit den Nachrichten über immer neue Missbrauchsfälle mehren sich auch die Vorschläge und Ankündigungen für mögliche Konsequenzen in- und außerhalb der entsprechenden Institutionen. Eine Hotline für die Opfer soll nach Angaben des kirchlichen Sonderbeauftragten und Trierer Bischof, Stephan Ackermann, eingerichtet werden.

Der Sprecher der Reformbewegung »Wir sind Kirche«, Christian Weisner, forderte ein sichtbares Zeichen der Reue, etwa eine gut dotierte Stiftung der Deutschen Bischofskonferenz zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch. »Eine auf einer Pressekonferenz abgelesene Entschuldigung reicht nicht aus.«

Zahlreiche Politiker, darunter Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, haben sich für längere Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch ausgesprochen. Diese beträgt derzeit 20 Jahre, die ab der Volljährigkeit des Opfers gezählt werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und ihre Berliner Kollegin Gisela von der Aue (SPD) äußerten sich dazu jedoch skeptisch. »Eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen läuft auf wirkungslosen politischen Aktionismus hinaus«, sagte auch Wolfgang Neskovic, der rechtspolitische Sprecher der Fraktion der LINKEN. »Im Zentrum der Debatte muss die Frage stehen, wie der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Internaten und anderen abgeschlossenen Erziehungsinstitutionen wirksam unterbunden werden kann.«

Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gab bekannt, dass am 23. April ein Runder Tisch Kindesmissbrauch zusammentreten soll, der sich in erster Linie mit Fragen der Vorbeugung gegen Missbrauch und der Hilfen für die Opfer beschäftigen wird. Dazu laden das Familien- und das Bildungsministerium gemeinsam ein. Teilnehmen sollen Vertreter der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, der Ärzteschaft, des Deutschen Lehrerverbands sowie der Länder und Kommunen.

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