Zwischen allen Stühlen

CDU und FDP müssen schwierige Parteitage absolvieren

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 5 Min.
Showdown bei den Regierungsparteien. Sowohl FDP als auch CDU haben schwierige Parteitage vor sich. Ab heute zoffen sich die Liberalen in Frankfurt über die Europapolitik. Ab Montag wird bei den Christdemokraten über den Mindestlohn gestritten. Dass das wenig erbauliche Bild von Schwarz-Gelb generell zur Debatte steht, ist eher nicht zu erwarten.

Bevor die Kanzlerin und CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel ab Sonntagabend zwischen alle Stühle ihrer christdemokratischen Basis zu geraten droht, hat ihr Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler seine vermutlich wenig erfreuliche Begegnung mit der parteiinternen Wirklichkeit schon hinter sich. Denn vielen Mitgliedern der Spaßpartei um die flotten jungen Männer Rösler, Generalsekretär Christian Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr ist nach dem sehnlichst erwarteten Putsch gegen den früheren Parteichef und Außenminister Guido Westerwelle das Lachen längst im Halse stecken geblieben. Daran konnten auch die erst zu Wochenbeginn nach einem Koalitionsgipfel vorgestellten und für 2014 geplanten Steuererleichterungen von etwa 25 Euro nichts ändern. Mit einer Einlösung von Röslers Versprechen, dass die FDP nach den zahlreichen Pannen während ihrer zweijährigen Regierungsbeteiligung jetzt liefern werde, hat das für sie kaum zu tun.

Orakel eines Urgesteins

Vielmehr fürchten viele FDP-Getreue nach dem 1,8-Prozent-Desaster bei der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus, nach Mitgliederschwund und seit Monaten anhaltenden bundesweiten Umfragewerten unter fünf Prozent, dass die 2002 aus der FDP ausgetretene Altliberale Hildegard Hamm-Brücher Recht bekommen könnte. Die hatte am Donnerstagabend bei »Beckmann« die Existenzberechtigung ihrer früheren Partei »mit fünf Fragezeichen« versehen und heftigst bezweifelt. In deren jetziger Form stehe die FDP für einen Liberalismus, »der keinen Inhalt mehr hat und eigentlich ein reiner Kapitalismus ist«, lautet das vernichtende Urteil der 90-Jährigen.

Auch wenn Rösler, Lindner und Bahr dies gewisslich nicht teilen und natürlich auch nicht allein am Verlust von Glaubwürdigkeit und der inhaltlichen Leere Schuld sind - dass der eigentlich als Aufbruchsignal konzipierte Parteitag im zweifach wahren Sinne zum Krisentreffen wird, wissen auch sie. Nachdem der geübte Bauchredner Rösler mal fix aus dem Bauch heraus eine geordnete Insolvenz für Griechenland gefordert hatte, sich dafür von der Kanzlerin einen deutlichen Rüffel einhandelte und deshalb wieder umgeschwenkt war, bilden Euro- und FDP-Krise sozusagen ein siamesisches Zwillingspaar. Die Euro-Skeptiker in der Partei brachten gegen den Willen ihrer Führung und erstmals in der Parteigeschichte einen Mitgliederentscheid auf den Weg, mit dem sie den dauerhaften Rettungsfonds (ESM) stoppen wollen - und letztlich den Fortbestand der schwarz-gelben Koalition in Frage stellen.

Zwar sieht sich die Parteispitze nicht an das Mitgliedervotum gebunden, doch fest scheint zu stehen: Spricht sich die Mehrheit der FDP-Mitglieder gegen den ESM aus und folgt nicht der Empfehlung des Vorstandes, der eiligst einen Pro-Europa-Entwurf mit roten Linien zur Beruhigung der Basis formuliert hatte, könnte Mitte Dezember endgültig Schluss mit lustig in der einstigen Spaßpartei sein. Denn auch wenn daran die bürgerliche Koalition nicht zerbrechen sollte, dürfte Merkel demnächst mit anderen Partnern zu tun bekommen. Dass in diesem Zusammenhang immer wieder der Name von Fraktionschef Rainer Brüderle fällt, zeigt, dass die FDP nicht nur inhaltlich ziemlich nackt dasteht.

Und so steht zu fürchten, dass Kanzlerin Angela Merkel, bevor sie ab Montag die eigenen Reihen beim CDU-Parteitag in Leipzig zu schließen sucht, das Wochenende ziemlich gebannt in die Bankenmetropole am Main schauen wird, um mitzubekommen, ob der Koalitionspartner sich berappelt und aus den Brosamen, die sie ihm jetzt mit den 25 Euro Steuererleichterung hinwarf, etwas zaubert - oder seine beispiellose Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit mit dann freilich zunehmender Geschwindigkeit fortzusetzen gedenkt.

Dabei dürfte die CDU-Vorsitzende ganz andere Sorgen haben. Denn auch in ihrem Laden hängt der Haussegen schief. Und ausgerechnet in Leipzig, wo Merkel 2003 die CDU ganz neoliberal ausgerichtet hatte, sieht sie sich 2011 mit dem Vorwurf der schleichenden Sozialdemokratisierung der Partei konfrontiert. Diesem Kurs ist nach Meinung vieler auch der Aderlass der CDU geschuldet. Seit Jahresbeginn haben wiederum 10 000 Christdemokraten ihrer Partei den Rücken gekehrt.

Die vielfachen Pirouetten der Kanzlerin überfordern offenbar viele Konservative - sei es in Sachen Bundeswehr oder bei der Atompolitik. Dass ausgerechnet unter Unionsägide einmal die Wehrpflicht abgeschafft wird, hätten noch vor ein paar Jahren nur wenige in CDU und CSU für möglich gehalten. Dass aus einer Laufzeitverlängerung für Atommeiler binnen Wochen ein - wenn auch längerfristiger - Ausstieg aus der Technologie werden würde, wohl auch. Dass dieser Kurs der moderneren Christdemokraten ewig widerspruchslos bleiben würde, hat wiederum vermutlich auch die CDU-Vorsitzende nicht erwartetet. Dass sie als leidenschaftliche Bekennerin zur Bildungsrepublik allerdings ausgerechnet auf diesem Gebiet ihr Bauernopfer brachte, macht Merkel nicht unbedingt glaubwürdiger. Der beabsichtigte und nun doch zurückgepfiffene Schwenk hin zum modernen zweigliedrigen Schulsystem unter Abschaffung der Hauptschule ist offenbar das Beruhigungspflaster, mit dem die Kanzlerin den schmerzhaften Aufschrei der Delegierten abwenden will. »CDU-Spitze rückt von geplanter Oberschule ab - Antrag für Parteitag steht zu Haupt- und Realschulen«, lautete die Meldung vom Donnerstag, nachdem viele CDU-Politiker aus den Ländern offenbar Alarm im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin geschlagen hatten und die Parteispitze zurückrudern musste.

Streitthema Mindestlohn

Bleibt die Frage, was mit dem Mindestlohn wird, der zwar in der Union nicht Mindestlohn heißen soll, aber auch als Lohnuntergrenze zum Tabubruch reichen würde. Befürworter wie Gegner haben sich in Stellung gebracht - und ihre Parteivorsitzende macht wieder einmal das, was sie am besten kann: Sie laviert dazwischen. Immer auf dem Weg in die Mitte - oder zwischen alle Stühle zwischen Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel CDA. Da Merkel zwar Lohnuntergrenzen bejaht, aber deren Anbindung an die Zeitarbeitsbezüge verneint hat, darf sich diesmal der CDA von der Kanzlerin enttäuscht sehen. Das ist offenbar selbst Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zu viel, denn sie stellte sich in einem taz-Interview gestern offen gegen die Kanzlerin und auf die Seite der CDU-Mindestlohnbefürworter.

Und weil wir gerade beim Aufmucken sind: Auch Rebellen in der CDU wollen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm in Leipzig stoppen. FDP-Chef Rösler dürfte erleichtert sein.

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