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Katrins Kummer: Ich möchte meine Ruhe

  • WOLFGANG RICHTER
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Glocken sind geläutet, die Messen gelesen. Smoking und Abendrobe haben wieder Urlaub im Kleiderschrank. Die Sportler des Jahres 1990 sind proklamiert. Ein Vorgang mit Tradition. 1947 galt die erste deutsche Ehrung dem Tennisspieler Gottfried von Gramm und der Leichtathletin Marga Petersen, 1953 wurden “Täve“ Schur und Schwimmerin Karin Beyer die ersten DDR-Sportler des Jahres. Übrigens ist Schurs Rekord, die Auszeichnung neunmal in Folge zu erobern, bis heute ungebrochen.

Nun also die gesamtdeutsche Wahl. Den feinen Unterschied, nein, den gab's nicht. Aber den gro-ßen in mehreren Varianten. Hierzulande hatte die “Junge Welt“ bekanntlich ein millionenfaches Echo bei den Lesern, die ihre populärsten Sportler und Mannschaften bestimmten. Auf der anderen Seite waren es, wie auch diesmal, ausschließlich Journalisten, die ihre Wahl trafen. Fast 1000 Stimmen aus über 100 Redaktionen brachten 121 Sportlernamen sowie 90 Mannschaften in die Wertung. Fachkompetenz beurteilt Leistung, nicht Popularität. Doch selbst meßbare Resultate lassen sich aus verschiedenen Positionen beurteilen, die im konkreten Fall merkwürdig anmuten müssen. Wie sonst ist zu erklären, daß beispielsweise die zweifache Europameisterin in der Leichtathletik, Grit Breuer, oder Eisschnellauf-As Gunda Kleemann keine Chance für einen Platz unter den besten zehn hatten, daß bei den Männern mit Ulf Timmermann der erste ostdeutsche Amateur gar nur auf Platz 14 rangiert? Ganz offensichtlich gehört zum gesamtdeutschen Blickwinkel ein exakteres Kennen der Materie der bisherigen “anderen Seite“ - hüben wie drüben. Ein Problem, nicht nur des Sports.

Der Rahmen sprengte alles, was unsereins von den “Junge-Welt“-Auszeichnungen her kannte. Das festliche Kurhaus in Baden-Baden empfing die Creme des Sports und des öffentlichen Lebens zu einem Galaabend. Da waren Fritz Walter und “Täve“ Schur, Liesel Westermann und Kristin Otto, Roland Matthes und Eberhard Gienger aus früheren Jahren, Außenminister Genscher und Ministerpräsident Lothar Spät sowie die zahlreichen

Jetzt-Sportler und die Fachjournalisten als vielhundertköpfige Jury. Der rührige und verdienstvolle Veranstalter ISK (Internationale Sport-Korrespondenz) hatte das Ergebnis wie eine Weihnachtsüberraschung bis zum Schluß gewahrt, so daß Katrin Krabbe später gestand. „Erst als Steffi Graf als Zweite verkündet wurde wußte ich, daß ich vor ihr rangieren werde.“ So war der Abend nicht nur festlich und unterhaltsam, sondern zugleich auch spannend - eine selten reizvolle Kombination. Allerdings entsprach die Moderation von Christa Gierke (ZDF) in keiner Weise der Qualität der zu ehrenden Sportler und Sportlerinnen, von denen Boris Becker und Steffi Graf fehlten.

Die Neubrandenburgerin Katrin Krabbe, dreifache Sprint-Europameisterin, beeindruckte auch das festliche Auditorium mit Selbstbewußtsein und Offenheit. Wenn eine gute Fee Ihnen eine Wunsch erfüllen würde, welcher wäre das?, wurde sie auf der Bühne gefragt. Kein zierendes Zögern, als sie antwortete: „Ich möchte ganz einfach in Ruhe gelassen werden und mein Privatleben für mich haben. Wie manche Medien mit mir umgingen, das war mein schlimmstes Erlebnis.“ Ihre Antwort fand viel verständnisvollen Beifall und sollte manchen im Saal nachdenklich machen, die Achtung, die er für sich erwartet, zuerst auch anderen zuzugestehen. Katrin Krabbe war auf Rang 1 nicht nur eine Überraschung, sondern in ihrem Auftreten und mit ihrem Appell zugleich eine Bereicherung dieser gesamtdeutschen Sportlerehrung.

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