Wo Leiden zum Fest wird

Semana Santa - die Karwoche - ist in Spanien ein ganz und gar tragisches Ereignis, und doch ein Spektakel

  • Louis Max Blank
  • Lesedauer: 6 Min.

Ostern ist in Spanien kein buntes Frühlingsfest, bei dem die Lebensgeister erwachen, Kinder durchs Gras hüpfen und bunte Eier suchen. Die Semana Santa, die Heilige Karwoche, ist ein ganz und gar tragisches Ereignis, das eher als Trauerfeier denn als Freudenfest veranstaltet wird.

Im Süden geht es besonders dramatisch zu. Ein bitterernstes Fest, das Fremde vor Ergriffenheit schlucken lässt. Selbst Protestanten aus dem Norden wird sonderbar zumute, wenn zur Semana Santa in andalusischen Städten die Heiligen aus ihren Kapellen geholt und durch die geschmückten Straßen getragen werden. Im Gedränge um die Costaleros, die Träger der auf blumengeschmückten Thronen sitzenden Heiligenfiguren, springt der Funke der Leidenschaft auch auf die Betrachter über.

Für die Träger bedeutet die Osterprozession Schwerstarbeit. Die Holzbühnen wiegen zwischen drei und viereinhalb Tonnen. Besonders schwere Altarbühnen - silberbeschlagene Pasos - müssen von 30 Männern gewuchtet und den ganzen Tag durch die engen Gassen geschleppt werden. Das Leiden gehört zum Fest; schließlich ist der Trauerzug ein Akt der Buße.

Frömmigkeit paart sich mit Lässigkeit

Wer Blasmusik nur aus Biergärten kennt, wird sich wundern: Selten klingt eine Tuba, ein Saxofon oder der Schlag auf blecherne Trommeln markerschütternder und pathetischer als bei der Straßenmusik der Semana Santa. Zwar geben sich manche Musikanten cool, vor allem die Teenager. Lasziv wird Kaugummi gekaut oder Sonnenbrille getragen und dabei andächtig der Tod Jesu betrauert. Der Fremde wundert sich, wie selbstverständlich katholische Frömmigkeit und jugendliche Lässigkeit zusammengehen. Warum nur braucht sich ein Teenager mit Blockflöte in Spanien nicht albern vorzukommen?

Begleitet werden die Prozessionszüge von einer Menschentraube, die laut klagend ihrer Trauer Luft macht. Diese Nazarenos verkörpern das um Jesus trauernde Volk von Nazareth.

Den Musikanten folgen düstere Gestalten in schwarzen Tuniken, die Holzkreuze auf der Schulter tragen - die Penitentes. Die meisten Trauernden bleiben in der Anonymität, ihre Gesichter sind unter Masken, Tüchern oder spitzen Büßerhüten versteckt. Manolas, bleichgesichtige, in Schwarz gekleidete Frauen, verstecken sich hinter einem dunklen Schleier. Es handelt sich beim Prozessionsgang um ein Sündenritual, bei dem man mit sich selbst ins Reine kommen und nicht erkannt werden möchte.

Das klappt nicht immer. Mitunter brechen die Träger unter dem Gewicht der Heiligenfiguren regelrecht zusammen. Im andalusischen Pinos Puente musste die Bruderschaft Jesús Nazareno schon mal am Karfreitag aufgeben, weil der Thron zu schwer für die wenigen Träger war und man keine neuen finden konnte.

Seit dem 16. Jahrhundert wiederholt sich im ganzen Land zu Ostern das immer gleiche Ritual. Zwischen Palmsonntag und Ostersonntag zelebrieren Spanier das Fest der Trauer um den hingerichteten Jesus Christus. In Andalusiens großen Städten Sevilla und Granada werden die wohl pompösesten Osterumzüge organisiert. Allein in Sevilla sind 55 Bruderschaften an den Prozessionen beteiligt - ein gigantisches Spektakel, das Tausende Besucher in die Stadt lockt. Doch auch in Málaga, Cuenca, Cartagena, León, Salamanca, Zamora, Valladolid, Hellín und Lorca gilt die Semana Santa als Feier von »internationalem touristischen Interesse«.

In Lorca, einer Stadt, die abseits des Küstentourismus, in der südspanischen Provinz Murcia ihre Traditionen seit dem Mittelalter lebendig hält, sind Tod und Schmerz ohnehin noch spürbar nahe. Hier sind vor zwei Jahren bei einem unerwartet heftigen Erdbeben neun Menschen tragisch ums Leben gekommen, bis zu 3000 wurden obdachlos. Das Beben traf sämtliche Kirchen der Innenstadt schwer. So mancher Lorquiner glaubt an einen Akt des Teufels. Eine Besonderheit der Karwoche in Lorca besteht darin, dass hier nicht nur christliche Heiligenfiguren auf Brettern durch die Stadt getragen werden, sondern dass jüdischer und islamischer Kultur gleichermaßen Ehre widerfährt. Die Osterprozessionen werden in Gewändern und mit Dekorationen aus 2000 Jahren Kulturgeschichte gefeiert. Elemente aus der Antike, dem alten Ägypten, Israel, dem Römischen Reich, Griechenland, Mesopotamien, Babylon, dem Königreich von Saba fließen ein. Akrobatische Reiterspiele, Mutproben und Schönheitswettbewerbe werden veranstaltet.

Die Semana Santa wird durch die sogenannten Cofradias - jahrhundertealte Glaubensgemeinschaften - organisiert. Diese wohltätigen Bruderschaften, auch Hermandades genannt, stellen Musiker, Costaleros und Darsteller. Oft gibt es ein Gerangel um die Ehre, welche Bruderschaft welche Rolle im Trauerzug spielen und den wichtigsten Thron tragen darf. In Lorca, wo alles ein wenig anders ist, dürfen auch Frauen und Mädchen als Costaleras auftreten. Der Thron der Heiligen Veronika wird sogar nur von Frauen getragen.

Wer das Spektakel in Lorca verfolgen will, sollte sich rechtzeitig einen Sitzplatz auf den Bühnen entlang der Straßen sichern. Tickets kann man bei den Franziskanern der 500 Jahre alten Bruderschaft Paso Azul kaufen, die gegenüber ihrer Kirche San Francisco ein Museum betreiben. Das Erdbeben hat auch ihre Kirche schwer erwischt - seither wird jeder Cent eingesammelt, um den sechs Millionen teuren Wiederaufbau zu finanzieren.

»Wir Lorquiner sind vom Schicksal ziemlich stark getroffen. Das Beben ist immer noch in den Köpfen. Aber wir sind zähe Leute und lassen uns nicht unterkriegen. Das Feiern werden wir nie aufgeben, auch wenn es uns noch so schlecht geht«, sagt Maria Carmen, die für die Bruderschaft im Museum die Heiligenfiguren verwaltet.

Der Alltag außerhalb des Osterfestes sieht in Lorca alles andere als freudig aus. Die Arbeitslosenrate ist seit Krisenbeginn vor drei Jahren auf Rekordniveau. Sechs von zehn Menschen haben keinen Job, die Stadtkasse ist leer, unmöglich ist es, daraus den Wiederaufbau der zerstörten Innenstadt mit den denkmalgeschützten Bauwerken zu bezahlen.

Als das Beben die vergoldeten Altäre aus den Fugen hob, als Kirchendächer einstürzten und sogar eine Glocke aus dem Kirchturm fiel und zu Boden raste, eilten die Lorquiner unter Einsatz ihres Lebens in die Gotteshäuser. Sie zerrten die wertvollen Heiligenfiguren aus dem Schutt und trösteten sie wie eigene Familienmitglieder! So konnte die Figur der Virgen de Los Dolores - Jungfrau der Schmerzen - unversehrt ins Museum geschafft werden. Nur der bleichgesichtige Jesus Christus bekam einen Kratzer ab und musste neu lackiert werden.

»Tradition versöhnt uns mit der Gegenwart«

»Lorca ist eine Stadt der Passion«, sagt Maria Carmen. »Unsere Alegría - die Lebensfreude - bewahren wir uns in guten oder schlechten Zeiten, unabhängig von Wohlstand und materiellem Glück.«

Die Semana Santa und ihre monatelange Vorbereitung gilt denn auch für viele Lorquiner als Ablenkung vom harten Alltag. »Wir vergessen alle unsere Probleme und Sorgen, wenn wir an den Kostümen nähen oder die Throne schmücken. Diese Tradition versöhnt uns mit der Gegenwart, weil sie uns daran erinnert, wie alt Lorca eigentlich ist und wie viele Menschen vor uns schon das Osterfest gefeiert haben. Das relativiert die gegenwärtige Krise etwas«, sagt Maria Carmen, deren gesamte Familie zum Paso Azul gehört.

Wie zum Beweis der Unermüdlichkeit wollen die Lorquiner in diesem Jahr die UNESCO überzeugen, dass ihre Osterumzüge zum Weltkulturerbe erklärt werden. Auch wenn Spanien in einer materiellen Krise steckt, an immateriellem Erbe hat das Land schon einige Preise geholt. So sind der andalusische Flamenco, die katalanischen Menschentürme »Castells«, der Sibilla-Gesang auf Mallorca, die Falknerei und die mediterrane Küche von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt worden. Vielleicht gehört Lorca mit seiner Osterfeier auch bald dazu.

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